Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
Vom Netzwerk:
winseln. Körperliche Züchtigung war nicht nach seinem Geschmack, ihm ging es um die Erniedrigung. Ich fragte mich, um wessen Erniedrigung? Als er anfing zu jammern, habe ich ihn ausgelacht, den Schlappschwanz, habe ihn fester geschnürt und fester gewürgt. Ich habe ihn stranguliert und mit ihm mein ganzes verdammtes Leben. Dann war er tot. Kann ich jetzt wieder zu meinem Platz gehen?«
    Ich schloss die Akte. Es war nicht nötig weiterzulesen. Klar, dass sie die Todesstrafe bekommen hatte. Ich war aufgewühlt, wusste nicht, ob ich wütend war, weil sie sich so bewusst zerstört hatte. Oder war ich eifersüchtig, verletzt, beschämt? Ich hustete, dabei schoss mir etwas Magensäure hoch, die mir die Kehle anätzte. Ich hatte gestern zu viel getrunken. Angewidert stand ich auf, lüftete das verqualmte Büro und ging zur Küche, um mir Milch einzugießen. Ich beschloss, Lucy nicht zu erzählen, dass ich ihre Akten eingesehen hatte. Doch ich fragte mich bitter, ob Lucy mir je davon erzählen würde.

31. Im Park
    Lucy, 43, Sensor Stufe 10
    Als ich am Mittag des ersten Weihnachtsfeiertages zu Hause ankam, war ich von einer bleiernen Niedergeschlagenheit eingenommen, die den leichtlebigen Genuss der vergangenen Nacht in mir erstickte. Ich schloss leise die Tür auf, denn ich vermutete, dass Katya und Nicolas noch schliefen. Ich ging in mein Zimmer, zog die Festtagsgarderobe aus und schlüpfte in meine Joggingklamotten. An der Garderobe wühlte ich Schal, Handschuhe und Wollmütze aus der Schublade, zog meine Laufschuhe an und ging ebenso leise, wie ich gekommen war, wieder nach draußen. Die Sonne stand hoch am stahlblauen Himmel, doch die Straßenschluchten waren vom Schatten der Häuser verdunkelt. Ich schlenderte Richtung Park, aus Rücksicht auf meine Fußgelenke jogge ich nie auf Asphalt. Die Kälte biss mir in die Wangen, der Wind trieb mir Tränen in die Augen. Ich zog den Schal hoch bis über die Nasenspitze. Im Park angekommen, begann ich langsam und gleichmäßig zu laufen und lauschte dabei meinem Atem. Hinter dem Schal kondensierte er zu warmen Tröpfchen. Ich zog den Schal herunter. Die weißen Säulen meines Atems verwehten im Nichts. Meine Gedanken liefen wie immer mit. Wenn ich schließlich vollständig in die Monotonie der Bewegung eingetaucht war, wahrten sie Abstand und trotteten etwas weniger aufdringlich neben mir her. Manchmal konnte ich sie tatsächlich abhängen, doch stets nur kurz. Heute versuchte ich, ihnen Vorsprung zu geben, damit die innere Stille sich ausdehnen konnte. Doch sie würden auf meiner Pausenbank sitzen und auf mich warten. Deswegen lief ich langsam. Nach einer knappen Stunde war ich ausgebrannt. Zu viele Kippen in der letzten Zeit. Ich ging einige Schritte, bis mein Puls zur Ruhe kam, und setzte mich dann schwitzend auf das gefrorene Holz meiner Lieblingsbank. Schon drängten sich schwer lastende Fragen in meinem Kopf. Verärgert gab ich es auf, den Park und die Stille genießen zu wollen. Ich stützte die Ellbogen auf meine Knie, legte den Kopf auf die Fäuste und hörte resigniert meinen aufdringlichen Gedanken zu. Seit ich ins Taxi gestiegen war, schlich eine Frage heimtückisch in meinem Kopf herum: Konnte ich Pete trauen? Mein Gefühl sagte Ja. Aber da war die Sache mit der Observierung. Wusste er wirklich nichts davon? Wusste auch Snyder nichts darüber? Konnte Pete Snyder trauen? Mit einem Ruck setzte ich mich auf und rief mich zur Ordnung. Ich war schon fast so paranoid wie der Präsident. Genervt schimpfte ich mich eine dumme Kuh.
    »Was sind denn das für bittere Selbsterkenntnisse?«, fragte eine Stimme neben mir. Ich erschrak und wandte mich um. Eingepackt in einen übergroßen, langen Ledermantel, stand Marc neben mir und grinste mich mit einem »Hallo, Nachbarin« an.
    »Habe ich mit mir selbst gesprochen?«, fragte ich peinlich berührt. »Wenn ich nur wüsste, wie ich mir das abgewöhnen kann. Was machst du denn hier?«
    »Einen schnöden einsamen Weihnachtsspaziergang. Sprichst du oft mit dir selbst?«, fragte Marc amüsiert und setzte sich zu mir.
    »Seit meiner Kindheit, aber nur wenn ich allein bin. Stehst du schon lange hier? Normalerweise merke ich es, wenn sich jemand nähert.«
    »Ich habe nur deinen letzten Satz mitbekommen, falls dich das beruhigt. Und außerdem habe ich mich angeschlichen, weil ich nicht sicher war, ob du es wirklich bist. Man kann dich ja kaum erkennen in diesem Schlabberoutfit. Aber deine erotische Stimme, die ist

Weitere Kostenlose Bücher