Anita Blake 02 - Bllutroter Mond
Schätze zu geben, die jahrhundertelang verloren waren.« »Aha.« »Wie? Ist das von Nutzen?«
Ich nickte. Meine Rolle in Gaynors kleinem Drama war nun klar. Nur zu klar. Die einzig offene Frage hieß: warum ich? Warum hatte er sich nicht an jemanden gewandt, der
so verrufen war wie Dominga Salvador? Der sein Geld nehmen und die hornlose Ziege töten würde, ohne deswegen eine einzige schlaflose Nacht zu haben? Warum ich mit meinem streng moralischen Ruf?
»Hat er je die Namen von Voodoopriestern erwähnt?«
Wanda schüttelte den Kopf. »Nein, keine Namen. Damit war er immer sehr vorsichtig. Sie machen so ein Gesicht. Wieso hat Ihnen das genützt, was ich erzählt habe?« »Ich glaube, je weniger Sie darüber wissen, desto besser für Sie, meinen Sie nicht?« Sie sah mich lange Zeit an, aber schließlich nickte sie. »Vermutlich haben Sie Recht.«
»Gibt es einen Ort ...« Ich ließ die Frage unbeendet. Ich stand im Begriff, ihr ein Flugticket oder eine Busfahrt nach sonst wo anzubieten. Wo sie sich nicht mehr zu verkaufen brauchte. Wo ihre Wunden heilen konnten.
Vielleicht las sie es mir vom Gesicht ab oder aus meinem Schweigen. Sie lachte, und es war ein klangvolles Lachen. Sollten Huren nicht eher zynisch gackern? »Sie sind trotz allem ein Sozialarbeitertyp. Sie wollen mich retten, stimmt's?« »Ist es so furchtbar naiv, Ihnen ein Ticket nach Hause oder anderswohin anzubieten?« Sie nickte. »Furchtbar naiv. Und warum sollten Sie mir überhaupt helfen? Sie sind kein Mann. Sie mögen nicht einmal Frauen. Warum sollten Sie mir eine Fahrt nach Hause anbieten?« `
»Aus Dummheit«, sagte ich und stand auf.
»Es ist nicht dumm.« Sie nahm meine Hand und drückte sie. »Aber es würde nichts nützen. Ich bin eine Hure. In dieser Stadt kenne ich mich wenigstens aus, kenne die Leute. Ich habe meine Stammkunden.« Sie ließ meine Hand los und zuckte die Achseln. »Ich komme zurecht.«
»Mit Hilfe von ein paar Freunden«, sagte ich. Sie lächelte, aber es sah nicht glücklich aus. »Huren haben keine Freunde.« »Sie müssen keine Hure sein. Gaynor hat Sie dazu gemacht, aber Sie müssen es ja nicht bleiben.« Zum dritten Mal in dieser Nacht zitterten die Tränen in ihren Augen. Mann, sie war nicht hart genug für die Straße. Niemand war das.
»Rufen Sie mir einfach ein Taxi, okay? Ich möchte nicht mehr reden.«
Was sollte ich tun? Ich rief ein Taxi. Ich sagte dem Fahrer, der Fahrgast sei im Rollstuhl, wie Wanda mir aufgetragen hatte. Sie ließ sich von Jean-Claude die Treppen hinuntertragen, weil ich es nicht konnte. Aber sie verhielt sich äußerst still in seinen Armen. Wir ließen sie allein im Rollstuhl auf dem Gehsteig stehen.
Ich beobachtete sie, bis der Wagen kam und sie mitnahm. Jean-Claude stand neben mir in dem goldenen Lichtkreis vor meinem Apartmenthaus. Das warme Licht schien ihm die Farbe auszusaugen.
»Ich muss Sie jetzt verlassen, ma petite. Es war sehr lehrreich, aber die Zeit wird knapp.« »Sie werden jetzt speisen gehen?« »Sieht man mir das an?« »Ein wenig.« »Ich sollte Sie ma verite nennen, Anita. Sie sagen mir immer die Wahrheit über mich.« »Verite heißt Wahrheit?«, fragte ich. Er nickte.
Ich fühlte mich mies. Aufgewühlt, mürrisch, unruhig. Ich war wütend auf Harold Gaynor, der Wanda betrogen hatte. Wütend auf Wanda, die es zugelassen hatte. Ärgerlich über mich selbst, weil ich nichts dagegen tun konnte. Ich war auf die ganze Welt sauer. Ich hatte erfahren, was ich für Gaynor wirklich tun sollte, und es half mir kein bisschen weiter.
»Es wird immer Opfer geben, Anita. Raubtiere und Beute, das ist der Lauf der Welt.« Wütend sah ich zu ihm auf. »Ich dachte, Sie können meine Gedanken nicht mehr lesen.« »Ganz recht, aber ich kann in Ihrem Gesicht lesen, und ich weiß einiges über Sie.«
Ich wollte nicht wissen, dass Jean-Claude mich so gut kannte. So gründlich. »Gehen Sie, Jean-Claude, gehen Sie einfach weg.« »Wie Sie wünschen, ma petite.« Und genauso einfach verschwand er. Ein Windstoß, dann war er fort.
»Angeber«, murmelte ich. Ich stand verlassen im Dunkeln und spürte die Tränen kommen. Warum wollte ich über eine Hure weinen, die ich gerade erst kennen gelernt hatte? Über die Ungerechtigkeit der Welt im Allgemeinen?
Jean-Claude hatte Recht. Es würde immer Raubtiere und Beute geben. Und ich hatte hart daran gearbeitet, zu den Raubtieren zu gehören. Ich war der
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