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Anita Blake 02 - Bllutroter Mond

Anita Blake 02 - Bllutroter Mond

Titel: Anita Blake 02 - Bllutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurell K. Hamilton
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Vielleicht habe ich gegen die elterlichen Erwartungen rebelliert? Oder vielleicht hatte ich endlich gemerkt, dass es für einen Bachelor in Biologie mit dem Schwerpunkt Übernatürliches verdammt wenig berufliche Möglichkeiten gibt. Mein Nebenfach waren Sagengestalten. Im Lebenslauf wirklich nützlich.
     
     
    Das war wie ein Doktor in Altgriechisch oder romantischer Lyrik, interessant, unterhaltsam, aber nichts, womit man etwas anfangen kann. Ich hatte vorgehabt, das Hauptstudium zu absolvieren und dann am College zu unterrichten. Aber Bett kam des Weges und zeigte mir, wie ich mein Talent zum Beruf machen konnte. Wenigstens kann ich behaupten, ich brauche meinen Doktor jeden Tag.
     
    Ich habe mir nie den Kopf zerbrochen, wie es dazu gekommen ist, dass ich damit mein Geld verdiene. Es ist nichts Rätselhaftes dabei. Es steckt im Blut.
     
    Ich stand auf dem Friedhof und holte tief Luft. Schweißperlen rollten mir über das Gesicht. Ich wischte sie mit dem Handrücken fort. Ich schwitzte wie ein Schwein, und trotzdem war mir kalt. Angst hatte ich, aber nicht vor dem schwarzen Mann, sondern vor dem, was ich vorhatte. Wenn es ein Muskel wäre, würde ich ihn bewegen. Wenn es ein Gedanke wäre, würde ich ihn Gestalt annehmen lassen. Wenn es ein Zauberwort wäre, könnte ich es aussprechen. Aber es ist nichts dergleichen. Es ist einfach so, dass meine Haut unter der Kleidung kalt wird. Ich spüre alle meine Nervenenden nackt im Wind. Und selbst in dieser heißen, schweißtreibenden Augustnacht fühlte sich meine Haut kalt an. Es ist immer, als ginge von ihr ein schwacher kalter Wind aus. Aber es ist kein Wind, kein anderer kann es wahrnehmen. Es bläst nicht durchs Zimmer wie in einem Hollywood-Horrorstreifen. Es ist nicht auffällig. Es vollzieht sich still. Insgeheim. In mir.
     
    Die kalten Finger des »Windes« tasteten suchend umher. Innerhalb eines Kreises von drei bis fünf Metern konnte ich Gräber spüren. Wenn ich suchend umherging, bewegte sich der Kreis mit mir.
     
    Wie fühlt es sich an, durch die feste Erde hindurch nach Toten zu suchen? Wie nichts, was dem Menschen vertraut ist. Phantomfinger, die die Erde durchwühlen, damit kann ich es am besten beschreiben. Aber natürlich ist das auch wieder nicht ganz zutreffend. Dicht dran, aber nicht dasselbe.
     
    Der nächstgelegene Sarg war vor Jahren vom Wasser ruiniert worden. Verzogene Holzstücke, Knochenreste, nichts Ganzes. Knochen und altes Holz, Erde, rein und tot. Die unheilvolle Stelle flimmerte. Einen Sarg konnte ich nicht erkennen. Sollte die Stelle ihr Geheimnis für sich behalten. Es lohnte sich nicht, eine Entscheidung zu erzwingen. Ich spürte da so etwas wie eine Lebenskraft, eingeschlossen in einem toten Grab, bis das Grab verschwindet. Das kann einen grantig machen.
     
    Ich lief langsam vorwärts. Der Kreis bewegte sich mit mir. Ich berührte Gebeine, unversehrte Särge, Stofffetzen in neueren Gräbern. Dieser Friedhof war alt. Es gab keine verwesenden Leichen mehr. Der Tod war in einen schön ordentlichen Zustand übergegangen.
     
    Mich fasste etwas am Fußknöchel. Ich erschrak und ging weiter, ohne hinzusehen. Niemals hinsehen. Das ist eine Regel. Kurz sah ich aus den Augenwinkeln etwas Bleiches, Nebelartiges mit großen verzweifelten Augen.
     
    Ein Geist, ein echter Geist. Ich war über sein Grab gelaufen, und er hatte mich merken lassen, dass ihm das nicht gefiel. Ein Geist hatte mich um das Fußgelenk gefasst. Na und? Wenn man sie nicht beachtet, verblassen sie. Wenn man ihnen Aufmerksamkeit schenkt, gibt man ihnen Substanz und kann in Teufels Küche kommen.
     
    Wichtiger Sicherheitstipp bei den meisten körperlosen Wesen: Wenn man sie ignoriert, haben sie weniger Macht. Es funktioniert leider nicht bei Dämonen oder anderen Halbwesen. Weitere Ausnahmen sind Vampire, Zombies, Ghule, Lykanthropen, Hexen ... Ach Mist, Nichtbeachtung funktionierte nur bei Geistern. Da aber immerhin.
     
    Phantomhände zupften an meinen Hosenbeinen. Ich spürte Skeletthände aufwärts tasten, als wollten sie mich benutzen, um sich aus dem Grab zu ziehen. Scheiße! Mir pochte das Herz bis an die Schneidezähne. Einfach weitergehen. Nicht beachten. Sie werden wieder verschwinden. Zum Teufel mit ihnen.
     
    Widerwillig glitten die Finger von mir ab. Manche Geister scheinen einen Groll gegen die Lebenden zu hegen. Eine Art Neid. Sie können einem nichts tun, aber sie jagen einem höllische Angst ein und lachen dabei.
     
    Ich stieß auf ein leeres Grab.

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