Anita Blake 03 - Zirkus der Versammten
aus Angst.
Aus allen Richtungen näherten sich Gestalten. Es mussten ein Dutzend oder mehr sein. Das Rascheln schneller Schritte im Gras überlagerte den Wind.
Larry stieg über den Mann am Boden hinweg. Ich trat ihm eine .45er aus der schlaffen Hand. Die Waffe rutschte unter den Wagen. Wäre ich nicht in Eile gewesen, hätte ich seinen Puls überprüft. Ich möchte immer gern wissen, ob ich jemanden getötet habe. Dann geht der Papierkram bei der Polizei so viel glatter.
Larry saß auf dem Beifahrersitz und beugte sich herüber, um die Fahrertür zu entriegeln. Ich zielte auf eine rennende Gestalt und drückte ab. Sie taumelte, stürzte und fing an zu schreien. Die anderen zögerten. Auch sie waren es nicht gewöhnt, dass man auf sie schoss. Arme Unschuldige.
Ich glitt in den Wagen und schrie: »Fahren Sie, fahren Sie los!«
Larry preschte davon unter einer Gischt aus Kieselsteinen. Das Heck schleuderte hin und her, die Scheinwerfer schwankten wie irre. »Wickeln Sie uns nicht um einen Baum, Larry.«
Er warf mir einen kurzen Blick zu. »Entschuldigung.« Der Wagen ging von Magenumstülpgeschwindigkeit zu Türgrifffesthaltetempo über. Wir blieben zwischen den Baumstämmen. Das war doch schon etwas.
Das Scheinwerferlicht prallte von den Bäumen ab, Grabsteine blitzten weiß auf. Der Wagen schleuderte um eine Kurve, Steine spritzten. Mitten auf der Straße stand ein Mann. Jeremy Ruebens von Humans First stand bleich angestrahlt da, in der Mitte eines ebenen Straßenstücks. Wenn wir um ihn eine Kurve machen könnten, wären wir auf der Bundesstraße und in Sicherheit.
Der Wagen wurde langsamer.
»Was tun Sie denn?«, fragte ich. »Ich kann ihn nicht einfach anfahren«, sagte Larry. »Und ob Sie das können.« »Kann ich nicht!« Er war aufgebracht, er hatte Angst. »Er will uns nur überlisten, Larry. Er wird zur Seite springen.«
»Sind Sie sicher?« Ein kleiner Junge, der fragte, ob da wirklich ein Monster im Schrank war. »Ich bin sicher. Und jetzt geben Sie Gas und bringen Sie uns von hier weg.« Er trat aufs Pedal. Der Wagen machte einen Satz nach vorn und brauste auf die kleine, aufrechte Gestalt Jeremy Ruebens' zu.
»Er bewegt sich nicht«, sagte Larry. »Er wird.« »Ganz sicher?« »Vertrauen Sie mir.«
Er blickte hastig zu mir, dann wieder auf die Straße. »Hoffentlich haben Sie Recht«, flüsterte er.
Ich glaubte, Ruebens würde zur Seite springen. Ehrlich. Aber auch wenn er nicht bluffte, führte der einzige Ausweg an ihm vorbei oder über ihn hinweg. Es war Ruebens' Entscheidung.
Die Scheinwerfer badeten ihn in gleißendes Weiß. Aus seinem kleinen finsteren Gesicht starrte er uns entgegen. Er rührte sich nicht.
»Er bewegt sich nicht«, sagte Larry. »Er wird.« »Scheiße«, fluchte Larry, und ich hätte nicht einverstandener sein können.
Das Scheinwerferlicht brauste auf Jeremy Ruebens zu, und er warf sich nach einer Seite. Wir hörten seinen Mantel gegen den Wagen klatschen. Knapp, verdammt knapp.
Larry beschleunigte und schaukelte uns um die nächste Kurve und auf das letzte gerade Stück. Dann warfen wir uns unter Kieselregen und Reifenquietschen auf die Bundesstraße. Wir hatten den Friedhof hinter uns. Wir hatten es geschafft. Danke, lieber Gott.
Larrys Hände am Lenkrad waren weiß. »Sie können jetzt ruhiger fahren«, sagte ich. »Wir sind in Sicherheit.«
Er schluckte so heftig, dass ich es hören konnte, dann nickte er. Der Wagen näherte sich langsam der erlaubten Geschwindigkeit. Sein Gesicht war schweißüberströmt.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich. »Ich weiß nicht.« Er klang ein wenig hohl. Ein Schock. »Sie haben es richtig gemacht.« »Ich dachte, ich würde ihn gleich überfahren. Ihn mit dem Wagen umbringen.«
»Er dachte das auch, sonst wäre er stehen geblieben«, sagte ich. Er sah mich an. »Und wenn nicht?« »Er ist gesprungen.« »Aber wenn nicht?« »Dann hätten wir ihn überfahren und wären jetzt genauso in Sicherheit.« »Das hätten Sie mich glatt tun lassen, stimmt's?«
»Überleben heißt das Ziel, Larry. Wenn Sie damit nicht zurechtkommen, suchen Sie sich einen anderen Beruf.« »Auf Animatoren wird nicht geschossen.«
»Das waren Mitglieder von Humans First, einer rechten fanatischen Gruppierung, die alles hassen, was mit dem Übernatürlichen zu tun hat.« Ich verschwieg den persönlichen Besuch von Jeremy Ruebens. Was der Junge nicht wusste,
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