Anita Blake 03 - Zirkus der Versammten
auf und fiel hin, und dabei ließ sie meinen Arm los.
Dann geschah etwas mit ihren Beinen. Sie schienen in der Mitte zusammenzuwachsen, die Haut schloss sich. So etwas hatte ich noch nie gesehen, und ich wollte es auch jetzt nicht.
»Melanie, was tust du da?« Die Stimme kam von hinten. Oliver stand auf dem Flur, kurz vor dem helleren Licht des Wohnzimmers. Seine Stimme klang wie ein Steinschlag und abknickende Bäume. Ein Sturm von Worten, die alles kurz und klein schlugen.
Das Wesen auf dem Fußboden wand sich unter dem Klang seiner Stimme. Am Unterkörper wurde es zu einer Schlange. Zu einer ziemlichen Schlange. Herr im Himmel.
»Sie ist eine Lamia«, flüsterte ich. Ich wich zurück, bis ich die Haustür im Rücken spürte, und packte den Türknauf. »Ich dachte, die seien ausgerottet.« »Sie ist die letzte«, sagte Oliver. »Ich halte sie bei mir, weil ich das fürchte, was sie tun würde, bliebe sie ihren eigenen Wünschen überlassen.«
»Welches Tier ist es, das Sie zu sich rufen können?«, fragte ich.
Er seufzte, und in diesem einen Laut spürte ich Jahre voller Traurigkeit. Ein unaussprechliches Bedauern. »Schlangen. Ich kann Schlangen zu mir rufen.« Ich nickte. »Natürlich.« Ich öffnete die Tür und trat rückwärts auf die sonnige Veranda. Niemand versuchte, mich aufzuhalten.
Die Tür schloss sich hinter mir, und nach ein paar Augenblicken kam Inger heraus. Er war steif vor Zorn. »Wir bitten ergebenst um Verzeihung für ihr Benehmen. Sie ist ein Tier.«
»Oliver muss sie fester an die Leine nehmen.« »Er versucht es.«
Ich nickte. Solche Versuche kannte ich. Man tat sein Bestes. Aber wer eine Lamia zügelte, konnte auch den ganzen Tag lang meine Sinne verwirren, ohne dass ich es merkte. 'Wie viel, von meinem Vertrauen und Wohlwollen war echt, und wie viel davon hatte Oliver in mir erzeugt?
»Ich fahre Sie zurück.« »Ich bitte darum.« Und fort waren wir. Ich hatte meine erste Lamia gesehen und das vielleicht älteste lebende Wesen der Welt. Ein richtiger Scheißtag also.
31
Das Telefon klingelte, als ich die Wohnungstür aufschloss. Ich stieß sie mit der Schulter auf und rannte zum Apparat. Beim fünften Läuten erwischte ich den Hörer und schrie fast hinein. »Hallo.«
»Anita?«, fragte Ronnie. »Ja, ich bin's.« »Du klingst ganz atemlos.« »Ich musste ans Telefon rennen. Was gibt's?« »Mir ist eingefallen, woher ich Cal Rupert kannte.«
Es dauerte eine Minute, bis ich wieder wusste, von wem sie redete. Von dem ersten Vampiropfer. Einen Moment lang hatte ich vergessen, dass eine Morduntersuchung im Gange war. Ich war ein bisschen beschämt. »Erzähl, Ronnie.«
»Ich habe letztes Jahr für eine hiesige Anwaltskanzlei gearbeitet. Von den Anwälten war einer auf die Aufstellung von Testamenten spezialisiert.«
»Ich weiß, dass Rupert einen Sterbewunsch schriftlich niedergelegt hatte. Darum konnte ich ihn ja pfählen, ohne auf eine Exekutionsanordnung warten zu müssen.«
»Aber weißt du auch, dass Reba Baker einen Sterbewunsch bei demselben Anwalt liegen hatte?«
»Wer ist Reba Baker?« »Sie könnte das zweite Opfer sein.« Mein Magen zog sich zusammen. Eine Spur, eine echte, richtige Spur. »Wie kommst du darauf?« »Reba Baker war jung, blond und ist zu einer Verabredung nicht erschienen. Sie geht nicht ans Telefon und ist seit zwei Tagen nicht zur Arbeit gekommen.«
»Der passende Zeitraum, was den Tod des Opfers angeht«, sagte ich. »Genau.«
»Rufe Sergeant Rudolf Storr an. Erzähle ihm, was du mir soeben erzählt hast. Benutze meinen Namen, damit du zu ihm durchkommst.« »Du willst nicht, dass wir das selbst ermitteln?« »Nicht im Geringsten. Das ist Sache der Polizei. Das können sie schließlich. Sollen sie sich ihr Gehalt verdienen.« »Mensch, du verdirbst alles.«
»Ronnie, rufe Dolph an. Überlass das der Polizei. Ich bin den Vampiren begegnet, die die Leute umbringen. Wir wollen nicht selbst zum Ziel werden.« »Du bist was?«
Ich seufzte. Ich hatte nicht daran gedacht, dass Ronnie nicht Bescheid wusste. Ich erzählte ihr die kürzeste Fassung, die noch einen Sinn ergab. »Ich werde dich jeden Samstag morgen beim Training ins Bild setzen.«
»Wirst du klarkommen?« »So weit ja.« »Pass auf dich auf, ja?« »Immer. Du auch.« »Es scheint, mir wollen nie so viele Leute was antun wie dir.«
»Dann sei dankbar«, sagte ich. »Bin ich.« Sie legte auf.
Weitere Kostenlose Bücher