Anita Blake 03 - Zirkus der Versammten
schüttelte den Kopf. »Wie alt?« »Ich bin siebenhundert Jahre alt. Mr Oliver war schon alt, als ich ihn kennen lernte.« »Er ist über tausend Jahre alt.« »Warum sagen Sie das?«
»Ich habe mal einen Vampir gekannt, der so alt war. Sie war Furcht einflößend, hatte aber nicht solche Macht.« Er lächelte. »Wenn Sie sein wahres Alter wissen möchten, müssen Sie ihn selbst fragen.«
Ich blickte eine Weile in Ingers lächelndes Gesicht. Mir fiel ein, wo ich ein Gesicht wie Olivers schon gesehen hatte. Ich hatte auf dem College einen Anthropologiekurs belegt. Da hatte es eine Zeichnung gegeben, die genauso ausgesehen hatte. Es war ein rekonstruierter Kopf des Homo erectus gewesen. Demnach war Oliver etwa eine Million Jahre alt.
»Mein Gott«, sagte ich. »Was haben Sie, Ms Blake?« Ich schüttelte den Kopf. »Er kann doch nicht so alt sein.« »Wie alt meinen Sie denn?«
Ich wollte es nicht laut aussprechen, so als würde es damit erst wahr werden. Eine Million Jahre. Wie mächtig konnte ein Vampir in so langer Zeit werden?
Über den Flur kam eine Frau auf uns zu, sie kam aus dem Inneren des Hauses. Sie wiegte sich auf nackten Füßen, die Fußnägel hatten dasselbe Scharlachrot wie die Fingernägel. Ihr Gürtelkleid passte zum Nagellack. Ihre Beine waren lang und blass, aber von jener Blässe, die braun zu werden versprach, wenn sie nur genügend an die Sonne kam. Die Haare, die dick und schwarz waren, fielen ihr bis über die Hüften herab. Ihr Make-up war perfekt, die Lippen scharlachrot. Sie lächelte mich an, unter der Oberlippe kamen zwei spitze Zähne hervor.
Aber sie war kein Vampir. Ich wusste nicht, was sie war, aber ein Vampir war sie nicht. Ich warf einen Blick auf Inger. Er sah nicht glücklich aus.
»Sollten wir nicht weitergehen?«, meinte ich. »Ja«, sagte er. Er ging rückwärts zur Haustür und ich ebenfalls rückwärts vor ihm her. Keiner von uns wandte den Blick von der reißzahntragenden Schönheit, die da über den Flur auf uns zuglitt.
Sie bewegte sich so schnell und fließend, dass man ihr kaum folgen konnte. Lykanthropen konnten sich so bewegen, aber auch zu dieser Art gehörte sie nicht.
Sie hatte Inger umrundet und wollte zu mir. Ich gab es auf, gelassen zu bleiben, und rannte gewissermaßen auf die Tür zu. Aber sie war zu schnell für mich, zu schnell für einen Menschen überhaupt.
Sie packte meinen rechten Unterarm. Sie machte ein verwirrtes Gesicht. Sie fühlte die Messerscheide. Sie schien nicht zu wissen, was das ist. Prima für mich.
»Was sind Sie?« Meine Stimme klang ruhig. Nicht ängstlich. Erstklassige Vampirtöterin. Ja, genau.
Sie öffnete den Mund und leckte mit der Zunge über die Reißzähne. Die Zähne waren länger als bei einem Vampir. Sie konnte die Lippen gar nicht darüber schließen.
»Wohin verschwinden die Zähne, wenn Sie den Mund schließen?«, fragte ich.
Sie sah mich erstaunt an, das Lächeln verschwand. Sie leckte sich noch einmal über die Zähne, dann zogen sie sich zurück.
»Einziehbare Zähne. Stark«, sagte ich.
Ihre Miene war sehr ernst. »Freut mich, dass Ihnen die Vorstellung gefallen hat, aber es gibt noch so viel mehr zu sehen.« Die Zähne kamen wieder heraus. Sie riss den Rachen auf, als würde sie mächtig gähnen, und die Zähne glänzten hübsch in den gedämpften Sonnenstrahlen, die zwischen den Gardinen hindurchschienen.
»Mr Oliver wird es nicht gefallen, dass du sie bedrohst«, sagte Inger. »Er ist schwach geworden, sentimental.« Ihre Finger gruben sich in meinen Arm. Sie war kräftiger, als sie hätte sein dürfen.
Sie hielt meinen rechten Arm, sodass ich nicht zur Pistole greifen konnte. Die Messer schieden aus ähnlichen Gründen aus. Vielleicht sollte ich mehr Pistolen tragen.
Sie zischte mich an. Das war ein gewaltiger Luftausstoß, wie ihn ein menschlicher Hals nicht zustande bringen könnte. Die Zunge, die hervorschnellte, war gespalten.
»Du lieber Gott, was sind denn Sie für eine?«
Sie lachte, aber es klang jetzt irgendwie verkehrt; vielleicht lag's an der gespaltenen Zunge. Ihre Pupillen wurden schmal, die Iris goldgelb, während ich zusah.
Ich wollte ihr den Arm entziehen, aber ihre Finger waren wie Stahl. Ich ließ mich fallen. Sie gab mir nach, ließ mich aber nicht los.
Ich neigte mich auf die linke Seite, zog die Beine an und trat ihr mit aller Kraft an die Kniescheibe. Das Bein knickte ein. Sie schrie
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