Anita Blake 05 - Bleich Stille
taumelnd zu mir herüber, ließ sich auf die Knie fallen. »Ist er tot?«
»Ich weiß es nicht.« Ich pumpte mit aller Kraft, so hart, dass ich bei einem Menschen einen Rippenbruch riskiert hätte, aber er war ja kein Mensch. Er lag da und bewegte sich nur, wenn ich ihn bewegte, und so locker, wie nur die Toten sein können. Seine Lippen waren halb geöffnet, die Augen mit dem schwarzen Saum der dichten Wimpern waren geschlossen. Das lockige schwarze Haar umrahmte sein bleiches Gesicht.
Ich hatte mir Jean-Claude tot vorgestellt. Ich hatte sogar ein- oder zweimal daran gedacht, ihn eigenhändig umzubringen, aber jetzt, wo sein Tod eine Tatsache war, wusste ich nicht, wie ich mich fühlen sollte. Irgendwie kam es mir ungerecht vor. Ich hatte ihn hierher gebracht. Ich hatte ihn gebeten, und er war gekommen. Und nun war er tot, wahrhaftig tot. Und das war auch meine Schuld. Wenn ich Jean-Claude umbringen wollte, dann wollte ich eine Kugel auf ihn abfeuern und ihm beim Sterben in die Augen sehen. Aber nicht so.
Ich blickte auf ihn nieder, dachte: kein Jean-Claude mehr, dachte, dass dieser schöne Körper endlich in dem Grab verwesen sollte, das er sich verdient hatte. Ich schüttelte den Kopf. Das konnte ich nicht zulassen, nicht solange ich ihn noch retten konnte. Ich kannte nur eine Sache, die alle Toten achteten und ersehnten. Blut. Ich versuchte noch einmal, ihm Leben einzuatmen, aber mit einem Unterschied: Ich schmierte ihm vorher mein Blut auf den Mund. Meine Lippen berührten seine, und ich schmeckte den milden, metallischen Geschmack meines Blutes. Nichts.
Larry kniete sich neben uns. »Wohin ist Janos verschwunden?«
Er hatte nicht durch den Nebel sehen können, aber ich hatte keine Zeit für Erklärungen. »Passen Sie auf die Tür auf. Schießen Sie auf jeden, der reinkommt.« »Kann ich die Mädchen losmachen?«
»Klar.« Die Mädchen hatte ich vergessen. Jeff Quinlan hatte ich vergessen. Ich hätte sie alle hergegeben, wenn Jean-Claude nur einmal blinzeln würde. Nicht wenn man mich vor die Entweder-Oder-Entscheidung gestellt hätte, aber im Augenblick waren sie Fremde für mich. Er nicht.
»Mit mehr Blut vielleicht«, meinte Jason leise. Ich sah ihn an. »Bieten Sie sich an?« »Keiner von uns kann ihm damit die ganze Kraft zurückgeben, ohne zu sterben, aber ich werde helfen«, sagte er.
»Er hat heute Abend schon einmal an Ihnen gesaugt. Können Sie ein zweites Mal Blut spenden?« »Ich bin ein Werwolf. Ich erhole mich schnell. Außerdem hat mein Blut mehr Wirkung als das von Menschen, es hat mehr Kraft.«
Erst darauf sah ich ihn richtig an. Er war voller Schleim. An einer Wange hatte er einen dicken schwarzen Schmier. Seine blauen Augen sahen nicht wölfisch aus, sie wirkten gehetzt, verwundet. Manche Dinge richten viel mehr als nur physischen Schaden an.
Ich holte tief Luft und zog eins meiner Messer aus der Scheide. Ich schnitt mir das linke Handgelenk auf. Der Schmerz war scharf und unvermittelt. Ich drückte die Wunde Jean-Claude an die Lippen. Das Blut quoll in seinen Mund. Es füllte ihn wie Wein einen Pokal. Es sickerte aus dem Mundwinkel und perlte die Wange hinab. Ich strich ihm über die Kehle, um ihn zum Schlucken zu bringen.
Wie er lachen würde, wenn er wüsste, dass ich schließlich doch eine Ader für ihn geöffnet hatte. Inzwischen trat das Blut über die reglosen Lippen. Verdammt.
Ich beatmete ihn wieder und bekam mein Blut zu schmecken. Ich brachte seine Brust zum Heben, indem ich in mein eigenes Blut hinein atmete. Ich dachte nur einen Gedanken: Lebe, lebe, lebe!
Durch seinen Körper ging ein Schauder. Der Hals krampfte, schluckte. Ich zog mich zurück. Er packte mein Handgelenk, als ich sein Kinn loslassen wollte. Der Griff tat weh. Ich fühlte diese unnatürliche Stärke, die einem die Knochen wie Strohhalme zerbrechen konnte. Seine Augen waren noch geschlossen, nur die Kraft seiner Hand machte mir deutlich, dass wir vorankamen.
Ich legte eine Hand auf seine Brust. Noch keine Atmung. Kein Herzschlag. War das schlecht? Oder gut? Oder gleichgültig? Zum Teufel, ich wusste es nicht. »Jean-Claude, können Sie mich hören? Ich bin's, Anita.«
Er richtete sich ein bisschen auf und drückte mein blutendes Handgelenk an seinen Mund. Er biss mich, und ich keuchte auf. Er fasste mein Handgelenk mit beiden Händen und saugte. Mitten beim Sex hätte es sich vielleicht schön angefühlt, aber so schmerzte es
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