Anita Blake 06 - Tanz der Toten
kristallen, fast wie bei einem Adrenalinstoß oder einem Schock, wo alles scharfkantig und beängstigend klar erscheint. Oder als wäre ich in eine neue Realität getaucht, und alles andere wäre nur eine Traumwelt. Es war fast eine Qual.
Marcus saß auf einem Felsplatz, der im Laufe der Zeit geformt worden war. Alle Kanten waren gerundet vom Wetter, von Händen und Körpern. Ich wusste, dass diese Lichtung seit sehr langer Zeit der Treffpunkt der Lukoi war.
Marcus trug einen braunen Smoking mit Satinaufschlägen. Das Hemd war aus Goldstoff, kein Goldlame, sondern das wahre Echte, als hätten sie Schmuck eingeschmolzen und ihm ein Hemd daraus gegossen. Raina räkelte sich am Fuß des steinernen Sitzes. Ihre langen braunen Haare waren als kunstvoller Wirbel auf dem Kopf festgesteckt und fielen in weichen Locken um ihr Gesicht. An der Stirn trug sie eine goldene Kette mit einem Diamanten von der Größe meines Daumens. Am Hals brannten noch mehr Diamanten wie weißes Feuer. Sie war vollkommen nackt bis auf den funkelnden Goldflitter auf der Haut, der an den Brustwarzen so dick aufgetragen war, dass man meinen konnte, sie seien selbst aus Metall. Am rechten Fuß glänzte ein Diamantkettchen. Um die Hüften trug sie drei goldene Ketten, und das war's.
Und ich hatte mich über meine Aufmachung beschwert.
»Willkommen Richard, Anita«, sagte Marcus. »Willkommen in unserer glücklichen Familie.« Seine Stimme war tief und dumpf. Sie strahlte eine gewisse Macht aus, aber nicht genug. Niemals. Richard konnte Jeans und T-Shirt tragen und sie trotzdem alle für sich gewinnen. Es gibt noch andere Dinge als Kleidung, die einen König ausmachen.
»Marcus, Raina.« Richard ließ langsam meine Hand los, und als er sich entfernte, blieb unsere Verbindung trotzdem bestehen. Sie war nur ein Schatten dessen, was ich aufgebaut hatte, als ich Richards und Jean-Claudes Aura an mich band, und dennoch mehr. Er machte ein paar Schritte weg, um ein Stück vor mir zu stehen. Ich konnte ihn fühlen wie ein großes, schimmerndes Wesen. Seine Energie war verblüffend. Nur einmal hatte ich etwas Ähnliches gespürt, das war die Macht eines Elfen gewesen, eines Daoine Sidhe.
»Du unartiger Junge«, sagte Raina. »Du hast sie zu unseresgleichen gemacht.« »Nein«, widersprach Richard, »sie ist, was sie immer war: sie selbst.«
»Wie kannst du dann ihre Macht lenken? Wie sie die deine?« Raina erhob sich von ihrem Platz, stolzierte vor dem Felssitz hin und her wie ein Tier im Käfig.
»Was hast du getan, Richard?«, fragte Marcus. »Sie ist meine Gefährtin.« »Raina, überprüfe das«, forderte Marcus.
Raina lächelte höchst unangenehm und stolzierte, über den freien Platz. Sie schwenkte die Hüften, machte aus ihrem Gang einen Tanz der Verführung. An diesem Abend konnte ich ihre Macht spüren. Ihr Sex schwang in der Luft, drohte sich zu entladen wie ein Blitz, kribbelte auf der Haut, machte den Mund trocken. Ich spürte, dass jeder Mann sie ansah, auch Richard. Ich nahm es ihm nicht übel. Mann, sogar ich sah sie an. Sie war grandios in ihrer schieren, nackten Lust. Für Raina war Sex Macht, buchstäblich.
Ich schlüpfte aus meinem langen Mantel und ließ ihn auf den Boden fallen. Aus den menschlichen Kehlen kam ein kollektiver Laut des Staunens. Ich fuhr mit beiden Händen über die nackte Haut an meinen Hüften, dann die lederumspannten Oberschenkel entlang. Ich lachte. Ein lautes, freudiges Bellen. Es war Raina. Ich lenkte ihre Macht, tanzte an ihrem Rand entlang.
Ich stelzte auf sie zu, wartete gar nicht erst ab, um sie in der Mitte des Platzes zu treffen. Wir umkreisten einander, und ich war ihrem Spiel gewachsen. Ich griff wie mit Diebeshand in sie hinein und zog ihre Aura von Sex und Gewalt zu mir. Die Angst machte ihre Augen groß und ihren Atem schneller.
Sie wusste, wie sie sich gegen andere Werwölfe schützen konnte, aber meine Art von Macht war gerade so verschieden von ihrer, dass sie nicht wusste, was sie gegen mich tun sollte. Ich hatte so etwas auch noch nie getan und verstand nicht genau, was da vorging, bis Raina zurückwich. Nicht dass sie sich zu Marcus flüchtete, aber der Glanz war verloren. Sie schlich sich mit eingekniffenem Schwanz weg, und ich konnte sie in mir schmecken, als hätte ich ihre Haut geleckt.
Ich drehte mich zu Richard um und schritt mit den hochhackigen Stiefeln auf ihn zu. Ich spürte die Blicke der Männer auf mir. Ich wusste, sie
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