Anita Blake 06 - Tanz der Toten
bevor ich zu ihm aufsehen oder eine Frage stellen konnte. Energie kroch an seiner Hand hinauf wie Öl an einem Lampendocht. Seine Haut wallte unter meiner Berührung. Die Knochen streckten sich. Ich fühlte seinen Körper nachgeben, als ob die Grenzen, die Haut und Knochen und Fleisch darstellten, sich auflösten. Es fühlte sich an, al, würde er nach draußen drängen, ähnlich wie ich, als wir durch den Wald liefen, aber nicht sein Wesen drängte her vor, sondern sein Körper.
Er hielt die andere Hand hoch, und ich nahm sie. Ich schloss die Finger darum, fühlte seine Knochen wachsen, sah eine Klaue entstehen, während sich sein Fleisch verschob wie nasser Ton. Ein ferner Gedanke sagte mir, ich sollte erschrocken oder angeekelt sein. Durch seine sich verformenden Hände floss die Macht in mich hinein, lief über wie kaltes Feuer.
Als er statt der Hände zwei menschliche Klauen hatte, mit Krallen, die mich zerfetzen konnten, hörte er auf. Die Macht hörte nicht abrupt zu fließen auf, nicht wie auf Knopfdruck, sondern wie wenn man den Wasserhahn zudreht, verringerte sich der Strom zum Rinnsal und zum Tröpfeln, dann war sie versiegt.
Ich kniete am Boden und wusste nicht mehr, wie ich dahin gekommen war. Richard kniete vor mir, wir hielten uns noch an den Händen. Ich brauchte zwei Anläufe, bis ich sprechen konnte. »Wie kannst du so leicht damit aufhören?«
Er zog seine neu geformten Hände behutsam aus meinen. Ich schauderte, als mir die Krallenspitzen über die Haut strichen.
»Die Selbstbeherrschung beim Gestaltwechsel ist es, was die Wölfe von den Schafen trennt«, sagte er.
Es dauerte eine Sekunde, bis ich begriffen hatte, dass er einen Witz machte. Er beugte sich zu mir und flüsterte: »Wenn ich im Kampf die Kontrolle verliere oder unterliege, werde ich mich vollständig verwandeln. Ich will, dass du kommst und mich berührst, wenn ich dich darum bitte.«
»Warum?«
Sein Atem streifte warm meine Wange. Er schlang die Arme um mich, hielt mich an sich gedrückt, während er mit den Klauen an den Lederriemen meines Kostüms herumspielte. »Ich will, dass du den Ansturm der Macht spürst. Ich will, dass du weißt, wie ich unter meinesgleichen sein kann.« Er drückte mich fester an sich. »Wenn ich unterliege, kannst du die Macht lenken und damit meine Wölfe von hier wegbringen. Die anderen werden jeden töten, den sie für illoyal halten.«
Ich schob mich von ihm weg, bis ich ihm ins Gesicht sehen konnte. »Auf welche Weise soll ich die Macht dazu benutzen?«
»Du wirst es wissen.« Er küsste mich ganz sanft auf die Stirn. »Rette sie, Anita. Versprich es mir.« »Ich verspreche es.«
Er erhob sich unter meinen Händen, die an ihm entlang streiften, bis er aufrecht dastand. Ich griff nach einer seiner Hände, strich über die lange gekrümmte Klaue. Sie fühlte sich so fest und wirklich an, wie sie aussah. Ich hatte die Verwandlung erlebt, und doch war es mir unangenehm, jetzt in sein gut aussehendes Gesicht und dabei auf diese monströsen Hände zu blicken. Doch ich hielt ihn fest. Ich wollte ihn nicht gehen lassen.
»Vorsicht mit den Krallen, Anita. Ich bin nicht mehr in Menschengestalt.«
Ob mir schon ein Kratzer ein Fell verschaffen konnte, war schwer zu beurteilen. Aber der Hinweis reichte, damit ich ihn losließ. Egal wie gut sich Richard anfühlte, ich war nicht bereit, das Menschsein komplett hinter mir zu lassen.
Richard schaute zu mir herab, und in seinen Augen war eine Welt voll unausgesprochener und ungetaner Dinge. Ich machte den Mund auf und schloss ihn wieder. »Hast du über jedes Körperteil solche Kontrolle?«
Er lächelte. »Ja.«
Ich hatte solche Angst, dass ich nicht mehr sprechen konnte. Das war mein letzter Witz gewesen. Jetzt war nur noch die Wahrheit übrig. Ich stand auf, stützte mich dabei an seinen Beinen ab und küsste ihn auf die Hand. Die Haut war zart wie immer, roch noch immer nach Richard, nur die Knochen darunter fühlten sich nicht an wie er.
»Lass dich nicht umbringen.«
Er lächelte. In seinem Blick lag eine Traurigkeit, die ins Bodenlose ging. Selbst wenn er den Kampf gewann, würde es ihn teuer zu stehen kommen. Mord, so würde er es empfinden. Egal wie gerechtfertigt. Hohe moralische Grundsätze sind prima, aber man kann deswegen draufgehen.
Raina gab Marcus einen Abschiedskuss, drückte sich fest an ihn. Als wollte sie durch ihn hindurch, ihn teilen wie einen Vorhang
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