Anita Blake 06 - Tanz der Toten
und widersprach. »Ich würde durchaus etwas empfinden.« »Was?«, fragte sie. »Sicherheit.«
Ich brachte uns beide rückwärts zur offenen Tür und musste über die Schulter blicken, um mich zu vergewissern, dass uns keiner von hinten ansprang. Als ich wieder nach vorn sah, war Gabriel einen Schritt vorgetreten, doch Raina hielt ihn zurück. Sie blickte mich an, als hätte sie mich noch nie gesehen. Als hätte ich sie überrascht. Das beruhte wahrscheinlich auf Gegenseitigkeit. Ich hatte gewusst, dass sie verdreht war, aber nicht in meinen schlimmsten Träumen hätte ich ihr zugetraut, dass sie die eigenen Leute vergewaltigt.
Ich gelangte mit Stephen in die Halle. In meiner Brust löste sich etwas, und ich atmete erleichtert durch. Kampflärm schlug uns entgegen. Ich wollte mich hineinstürzen. Richard lebte noch, sonst wäre der Kampf vorbei. Es war noch Zeit. Es musste noch Zeit sein.
»Kommen Sie nicht auf die Idee, sich blicken zu lassen, bevor wir weg sind, Raina, sonst schieße ich Ihnen Ihr hübsches Gesicht weg.« Es kam keine Antwort. Ich musste zu Richard.
Stephen stolperte und hätte uns fast umgerissen. Er hing mir an der Schulter, seine Arme klemmten mir den Hals ab, dann fand er das Gleichgewicht. »Geht es, Stephen?«
»Alles in Ordnung, bring mich nur von hier weg.« Er klang schwach, als verlöre er gleich das Bewusstsein. Ich konnte ihn nicht tragen und dabei schießen, oder zumindest wollte ich es nicht probieren. Ich fasste ihn fester und sagte: »Bleib dicht bei mir, Stephen, dann schaffen wir es.«
Er nickte. Die langen Haaren flossen nach vorn. »In Ordnung.« Er war bei den Kampfgeräuschen kaum zu verstehen.
Wir kamen in den Hauptraum, und da herrschte das Chaos. Richard war nicht zu sehen. Da war nur ein Gerangel von Leibern, Armen und Beinen, über die sich ein über zwei Meter großer Wolfsmann mit seinen Klauen beugte. Er langte in den Haufen und zog Richard heraus, dem er die Krallen in die Haut bohrte. Richard griff ihm an die Kehle, mit einer Hand, die zu lang für einen Menschen und zu nackt für einen Wolf war. Sein Gegner würgte und spuckte Blut.
Ein Wolf, der so groß war wie Richard, sprang ihn von hinten an. Richard taumelte, stürzte aber nicht. Der Wolf schlug die Zähne in seine Schulter. Pelzige Klauen und Menschenhände versuchten von allen Seiten, ihn zu packen. Scheiße. Ich verschoss eine Salve in die Bodendielen. Es hätte beeindruckender ausgesehen, wenn ich an die Decke geschossen hätte, aber die Kugeln kommen mit derselben Geschwindigkeit herunter, wie sie rauffliegen, und ich wollte nicht die eigenen Querschläger abkriegen. Die Maschinenpistole mit einer Hand zu halten war ein Fehler. Ich hielt drauf und zog eine Linie von mir bis zu dem Bett. Zuletzt zielte ich auf die Kämpfenden. Die waren inzwischen starr vor Entsetzen. Richard kroch aus dem Durcheinander hervor. Er blutete. Er kam hoch, schwankte nur ein bisschen, konnte aber aus eigener Kraft laufen. Ich hätte keinesfalls zwei Männer festhalten können, ganz zu schweigen von der Uzi.
Vor dem Vorhang blieb er stehen und wartete, dass ich zu ihm kam. Stephen sank gegen mich. Er war völlig schlaff. Er musste ohnmächtig geworden sein. Es war ein quälend langer Weg bis zu Richard. Wenn ich stolperte und einbrach, hätte ich sie alle auf mir. Sie verfolgten mich mit Blicken, halb Mensch, halb Wolf, zu denen, ich gar nicht durchdringen würde. Sie sahen mich an, als fragten sie sich, wie ich schmeckte, und würden das nur zu gern herausfinden.
Der hünenhafte Wolfsmann sprach mich an: »Du kannst uns nicht alle töten, Mensch.« Seine pelzigen Kiefer waren zu kräftig und fremd für die menschlichen Worte. Da hatte er recht. Ich hob den Lauf ein bisschen. »Stimmt, aber wer wird der Erste sein?«
Niemand bewegte sich, während ich weiterging. Als ich bei Richard ankam, nahm er mir Stephen ab und barg ihn in den Armen wie ein Kind. Richard lief das Blut aus einer Stirnwunde. Es bedeckte das halbe Gesicht wie eine rote Maske. »Stephen wird nicht mehr hierherkommen, nie wieder«, sagte Richard.
Wieder redete der Wolfsmann. »Du willst nicht töten, Richard. Das ist deine Schwäche. Selbst wenn wir Stephen wieder hierherbringen, wirst du uns dafür nicht töten. Du würdest uns verletzen, aber nicht töten.« Richard sagte nichts dazu. Vermutlich war es die Wahrheit. Verdammt.
»Aber ich werde euch töten«, behauptete ich. »Anita, du verstehst
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