Anita Blake 06 - Tanz der Toten
sich ein Schwarm Insekten auf mir niedergelassen. Ich konnte nicht atmen. Ich trat von der blutigen Linie herunter. Das Gefühl hörte auf. Ich spürte es noch wie eine Erinnerung auf der Haut, im Kopf, aber ich fühlte mich wieder normal. Ich holte tief Luft, atmete langsam aus und
trat noch einmal vor. Es war nicht, als stieße man gegen eine Wand, sondern mehr wie gegen ein Tuch, eine alles überflutende, erstickende, von Maden wimmelnde Decke. Ich versuchte einen weiteren Schritt, versuchte den Rand zu überschreiten, und konnte es nicht. Taumelnd prallte ich zurück. Wäre hinter mir nicht die Wand gewesen, ich wäre gefallen.
Ich ließ mich daran hinabrutschen, bis ich mit angezogenen Beinen dasaß. Meine Zehen waren nur ein paar Zentimeter vom Kreisrand entfernt. Ich wollte nicht noch einmal dagegenstoßen.
Dolph lief durch den Kreis, als wäre es nichts, und kniete sich neben mich, wobei er teils innerhalb des Kreises war. »Anita, was ist los?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher.« Ich blickte zu ihm auf. »Das ist ein Machtkreis, und ich kann ihn nicht durchqueren.« Er sah sich an, wie er halb darin hockte. »Ich kann.«
»Sie sind kein Animator. Ich bin keine Hexe, und ich verstehe nicht viel von dieser Magie, aber da stehen Todessymbole und Symbole zum Schutz gegen den Tod nebeneinander.« Ich blickte ihn an, während meine Haut noch von der Berührung zitterte, und neues Entsetzen machte sich in mir breit. »Das ist ein Zauber, der den Tod zugleich festhalten und ausschließen soll, und ich kann ihn nicht durchschreiten.«
Dolph starrte auf mich nieder. »Was bedeutet das, Anita?« »Es bedeutet, dass sie den Kreis nicht gezogen hat«, antwortete eine weibliche Stimme.
19
Die Frau stand im Türrahmen. Sie war groß, schlank, mit einem purpurroten Kostüm und einer strengen weißen Hemdbluse bekleidet. Sie betrat da5 Zimmer mit einem Eifer, dass ich ihr glatt zehn Jahre abzog. Sie sah aus wie dreißig, war sie aber nicht. Sie war paarundzwanzig und völlig von sich eingenommen. Wahrscheinlich war sie ungefähr so alt wie ich, aber sie strahlte diese glänzende Frische aus, die ich schon vor Jahren verloren hatte.
Dolph erhob sich und wollte mir aufhelfen. Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann noch nicht stehen. Es sei denn, Sie wollen mich tragen.«
»Anita, das ist Detective Reynolds«, sagte er. Er klang nicht restlos glücklich damit.
Reynolds ging an dem Kreisrand entlang genau wie ich, aber sie kam, um mich zu begutachten. Gegenüber von Dolph blieb sie stehen. Sie blickte lächelnd zu mir herab, voller Eifer. Ich sah zu ihr hinauf. Meine Haut zuckte noch immer.
Sie beugte sich herunter und flüsterte: »Man kann zwischen Ihre Beine sehen.« »Deshalb die vorzeigbare Unterwäsche«, sagte ich. Sie machte ein überraschtes Gesicht. Ich hatte keine Möglichkeit, die Beine auszustrecken ohne mit dem Kreis in Berührung zu kommen. Wenn ich also nichts aufblitzen lassen wollte, musste ich aufstehen. Ich streckte Dolph die Hand hin. »Helfen Sie mir hoch, aber egal wie, lassen Sie mich nicht in das Ding da fallen.«
Detective Reynolds nahm unaufgefordert den anderen Arm, aber offen gestanden hatte ich die Hilfe nötig. Meine Beine fühlten sich an wie Spaghetti. In dem Augenblick, wo sie mich anfasste, gingen meine Haare in Habachtstellung. Ich zuckte vor ihr zurück und wäre in den Kreis gefallen, hätte Dolph mich nicht aufgefangen.
»Was haben Sie, Anita?«, fragte er.
Ich lehnte mich gegen ihn und versuchte langsam und gleichmäßig zu atmen. »Ich kann jetzt keine weitere Magie vertragen.«
»Holen Sie ihr einen Stuhl aus dem Esszimmer«, bat Dolph. Er redete mit niemandem im Besonderen, aber ein Beamter ging aus dem Zimmer, wahrscheinlich um den Stuhl zu holen.
Dolph hielt mich auf dem Arm, und wir warteten. Da ich nicht stehen konnte, durfte ich mich kaum beschweren, aber ich kam mir vor wie ein Idiot.
»Was haben Sie da am Rücken, Anita?«, fragte Dolph.
Das Messer hatte ich völlig vergessen. Durch den Uniformierten, der den Stuhl brachte, blieb mir eine Antwort erspart. Dolph setzte mich behutsam ab. »Hat Detective Reynolds einen Zauber an Ihnen ausprobiert?«
Ich schüttelte den Kopf. »Erkläre doch mal einer, was passiert ist.« Eine ungesunde Röte kroch über Reynolds blassen Hals. »Ich habe versucht, ihre Aura zu lesen, sozusagen.«
»Warum?«, fragte
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