Anita Blake 07 - Dunkle Glut
Gesicht, fuhr mit meinen kribbelnden Fingerspitzen durch seine gegelten Haare, nahm sein Kinn in meine Hand und flüsterte: »Willie, komm zu mir.«
Ich spürte einen zittrigen Stoß in mir und konnte wieder sehen. Mein Körper fühlte sich noch taub und fremd an, aber mein Blick war klar. Ich sah in diese funkelnden Augen und dachte an Willie. Da, tief in mir leuchtete ein Funke auf, wuchs ein Schrei.
»Willie, komm zu mir.« Meine Stimme hörte sich schon kräftiger an. »Was tust du?«, fragte der Wanderer.
Ich ignorierte ihn. Willie war auch bei den Vampiren gewesen, die ich versehentlich aus dem Sarg gerufen hatte. Und vielleicht, nur vielleicht, war er nicht nur durch Freundschaft an mich gebunden. »Mit meinem Blut rufe ich dich, Willie McCoy. Erhebe dich und komm zu mir.«
Der dritte Pulsschlag kam langsamer. Der Wanderer war es jetzt, der versuchte, wegzukommen, der den Einfluss brechen wollte, den er aufgebaut hatte, aber diese Macht war ein zweischneidiges Schwert. Und ich wollte es hart und wirksam gegen ihn richten.
»Komm zu mir, Willie. Folge meiner Stimme, meiner Hand, meinem Blut. Erhebe dich und antworte mir. Willie McCoy, komm jetzt!« Ich sah ihn in seine Augen strömen und spürte, wie der Wanderer hinausgedrängt wurde. Ich drängte ihn hinaus, stieß ihn weg und schlug die Tür zu. In mir und in Willie, eine Tür, die mir ganz neu war. Ich zwang den Wanderer hinaus, und er schleuderte kreischend in die Dunkelheit.
Willie starrte mich an, und es war tatsächlich er, aber diesen Blick kannte ich nicht von ihm. »Was willst du, Meister?«
Ich brach weinend zusammen und wollte sagen: »Ich bin nicht dein Meister«, aber die Worte blieben mir im Hals stecken und waren vergessen, als eine samtschwarze Finsternis mir die Sinne raubte.
20
Ich war mit dem Kopf im Schoß meines Vaters eingeschlafen. Er streichelte mir die Haare. Ich kuschelte mich an ihn, schmiegte die Wange an seinen nackten Oberschenkel. Nackten Oberschenkel? Plötzlich war ich wach, stieß mich in eine aufrechte Haltung, noch ehe ich richtig gucken konnte. Jason saß an eine Steinwand gelehnt. Es war sein Schoß, in dem ich aufwachte. Er schenkte mir eine sehr verwässerte Version seines typischen einladenden Grinsens, aber seine Augen waren leidenschaftslos und müde. Er brachte keine Anzüglichkeit mehr zustande. Wenn Jason so weit war, standen die Dinge schlecht.
Jean-Claude und Padma stritten auf Französisch. Sie standen sich an einem Holztisch gegenüber. Ein Mann war mit dem Gesicht nach unten an Fuß- und Handgelenken und am Hals an den Tisch gefesselt, mit silbernen Schnüren. Mit Schnüren, die an dem Tisch befestigt waren. Er war nackt, doch ihm fehlte nicht nur die Kleidung. Sein ganzer Rücken war blutiges, rohes Fleisch. Wir hatten den Besitzer der abgezogenen Haut gefunden. Rafaels dunkles Gesicht war erschlafft, er war bewusstlos. Ich hoffte, dass das noch lange so bleiben würde.
Rafael war der Rattenkönig, der Kopf der zweitgrößten und stärksten Gestaltwandlerhorde in der Stadt. Er brauchte sich niemandem zu beugen. Was tat er hier? »Wieso ist Rafael hier?«, fragte ich Jason.
Er antwortete mit schleppender Stimme. »Der Dompteur verlangte die Werratten. Rafael war nicht stark genug, sich dem Ruf zu verweigern, aber stark genug, ohne die anderen Ratten zu kommen. Er hat sich geopfert.« Jason lehnte den Kopf gegen die Wand und schloss die Augen. »Sie konnten ihn nicht brechen. Und Sylvie auch nicht.«
»Sylvie?« Ich blickte durch den Raum. Er war sechsmal sechs Meter groß, nicht allzu üppig. Sie war am anderen Ende an die Wand gekettet. Sie war bewusstlos, hing mit dem ganzen Gewicht an den Handschellen. Ich sah nicht viel von ihr. Der Tisch, auf dem Rafael lag, verstellte die Sicht. Sie sah unverletzt aus.
»Warum ist sie hier?« »Der Dompteur hat auch die Wölfe gerufen. Richard war nicht da, also kam Sylvie. Sie hat sich vor uns gestellt, wie Rafael vor seine Leute.« »Worüber streitet Jean-Claude mit dem Tierbändiger?«
»Der Wanderer hat uns die Freiheit geschenkt, aber Rafael will er hierbehalten. Der Dompteur sagt, der Rattenkönig gehört nicht zu uns, ist nicht unser Freund.« »Aber er ist mein Freund«, sagte ich. Er lächelte mit geschlossenen Augen. »Ich wusste, dass du das sagen würdest.«
Ich stützte mich an der Wand ab und stand auf. Ich war noch etwas wacklig auf den Beinen, aber nicht zu sehr. Ich
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