Anita Blake 09 - Herrscherin der Finsternis
Bluterguss.
Mir war klar gewesen, dass er da war. Gegen eine Wand zu prallen hinterlässt gewisse Spuren.
Der Bluterguss reichte vom Wangenrand unter dem Auge bis zum Kieferknochen neben dem Ohr, ein Farbenspiel von Schwarzviolett, Rot und Dunkelrot. Er gehörte zu der Sorte, von denen am ersten Tag nicht viel zu sehen ist, aber dann durchlaufen sie alle Farben. Ich konnte mich schon auf Grün-, Gelb- und Brauntöne freuen. Wäre ich nicht dreifach von einem Vampir gezeichnet, hätte ich einen Kieferbruch gehabt, wenn nicht sogar einen gebrochenen Hals.
Es gab Momente, wo ich fast alles gegeben hätte, um diese Zeichen wieder loszuwerden, aber nicht, als ich jetzt auf diesen Bluterguss blickte in dem Bewusstsein, schneller zu genesen als ein normaler Mensch. Da war ich dankbar, noch am Leben zu sein.
Ich sagte ein stilles Gebet, als ich in mein Gesicht starrte. »Danke, lieber Gott, dass ich nicht tot bin.« Laut sagte ich: »Scheußlich«, und gab den Spiegel zurück.
Der Doktor runzelte die Stirn; offenbar war das nicht die Reaktion, die er erwartet hatte. »Sie sind mit über vierzig Stichen genäht worden.«
Ich riss die Augen auf, bevor ich es verhindern konnte. »Meine Güte, das ist selbst für mich ein Rekord.«
»Das ist nicht witzig, Ms Blake.« »Man kann es aber so nehmen, Doktor.«
»Wenn Sie herumlaufen, reißen die Wunden wieder auf. Noch werden die Narben nicht schlimm werden, wenn Sie sich in Acht nehmen. Aber wenn Sie nicht stillhalten, dann werden sie unansehnlich.«
Ich seufzte. »Damit werden sie eine Menge Gesellschaft haben, Doktor.« Er schüttelte bedächtig den Kopf und machte ein hartes strenges Gesicht. » Nicht was ich sage, wird etwas ändern, nicht wahr? »
»Nein.« »Sie sind dumm«, sagte er.
»Wenn ich hierbleibe, bis alles verheilt ist, wie soll ich mir dann in die Augen sehen, wenn ich wieder neue Opfer begutachten muss ?«
»Es ist nicht Ihre Aufgabe, die Welt zu retten, Ms Blake.« »So ehrgeizig bin ich nicht. Ich will nur ein paar Leben retten«, sagte ich. »Und Sie glauben wirklich, dass nur Sie diesen Fall lösen können?«
»Nein, aber ich weiß, dass ich die Einzige bin, mit der ... dieser Mann reden wird.« Fast hätte ich seinen Namen genannt, aber ich wollte nicht, dass Dr. Cunningham vielleicht der Polizei Bescheid gab, wohin wir fahren würden. Ich wollte ihm nichts unterstellen, aber Vorsicht war besser als Nachsicht.
»Ich habe versprochen, Sie gehen zu lassen, wenn Sie sich Ihre Verletzungen ansehen. Ich halte mein Wort.« »Ich bin Ihnen sehr dankbar, Dr. Cunningham. Vielen Dank.«
»Danken Sie mir nicht, Ms Blake. Danken Sie mir nicht.« Er ging zur Tür und machte einen Bogen um Edward und den Behelfsaltar, als flößten sie ihm Unbehagen ein. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Ich schicke Ihnen eine Schwester zum Anziehen, denn Sie werden Hilfe brauchen.« Er war draußen, bevor ich noch mal danke sagen konnte. Auch gut.
Edward blieb, bis die Schwester kam. Es war eine andere. Sie war groß und hellbrünett, falls es diese Bezeichnung gibt. Sie blickte unhöflich lange auf meinen Bluterguss, und als sie mir aus dem Krankenhaushemd geholfen hatte, pfiff sie beim Anblick meines Rückens leise durch die Zähne. Das war unprofessionell und sah einer Schwester eigentlich nicht ähnlich.
Gewöhnlich waren sie so nichtssagend fröhlich, dass einem fast schlecht werden konnte. Alles um zu verdecken, dass sie berührte, was man durchgemacht hatte.
»Bei den Nähten werden Sie keinesfalls einen BH tragen können«, sagte sie.
Ich seufzte. Ich ging so ungern ohne BH. Das gab mir immer das Gefühl, nicht richtig angezogen zu sein, egal was ich sonst noch trug. »Ziehen wir einfach das Polohemd über.«
Sie raffte es zusammen und ich steckte den Kopf hindurch. Als ich die Arme reckte, um sie durch die Ärmel zu schieben, gab es sofort einen scharfen Schmerz im Rücken, als würde die Haut aufreißen, wenn ich mich zu schnell bewegte. Ich überlegte, ob ich diesen Vergleich auch ohne die Warnung des Arztes gerade eben benutzt hätte. Wären die Schmerzen nicht gewesen, hätte ich die Achseln gezuckt.
»Normalerweise arbeite ich im Säuglingssaal«, sagte die Schwester, als sie mir half, das Polohemd glatt zu ziehen, und die zwei untersten Knöpfe schloss.
Ich sah sie an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Aber ich brauchte mir keine Gedanken zu machen.
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