Anita Blake 10 - Ruf des Bluts
»Sag bitte, dann werde ich dich vielleicht einfach erschießen. Wenn nicht, schlage ich dich, bis du tot bist.« Ich glaubte ihm. Jason wohl auch, denn er schüttelte den Kopf. Er wusste, wenn er dem Mann den Gefallen tat, war es mit ihm vorbei.
Ich spürte eine prickelnde Wärme heranströmen. Es war Richard. Er war irgendwo in der Dunkelheit. Ich öffnete mich unseren Zeichen. Die Macht floss mir über die Haut und auf Chucks Hand.
»Was war denn das?«, fragte er. Ich schwieg und rührte mich nicht.
»Antworte, du Schlampe! Versuchst du hier irgendeine ma gische Scheiße?« Er gab mir einen Stoß mit dem Lauf. Wenn das so weiterging, bekam ich da auch ohne Kugel ein Loch. »Das war ich nicht. «
Er riss mich auf die Knie, und der Lauf zeigte nicht mehr au~I mich. Eine Sekunde lang zeigte er in die Dunkelheit. Das war, einer dieser Momente. Alles verlangsamte sich, als hätte ich allej Zeit der Welt, um das lange Messer zu ziehen. Die Klinge kaml aus der Scheide. Die Schrotflinte und Chuck wandten sich mirll wieder zu. Ich benutzte den Schwung beim Herausziehen, I um die Klinge abwärtszuziehen. Ich spürte, wie die Spitze in Chucks Kehle drang, und wusste, die Verletzung war nicht tödlich. In dem Augenblick fiel etwas aus dem Baum über uns. Ein Schatten, der kaum mehr Substanz hatte als die übrige Dunkelheit. Ich guckte direkt in die beiden Läufe der Flinte.
Hinter mir hörte ich das Gewehr, doch es war keine Zeit für einen Blick zu Jason. Da war nur der Doppellauf vor meinen Augen und der Schatten, auf den ich nicht achten konnte.
Der Schatten fiel zwischen uns. Er hatte ein Fell. Die Schrotflinte explodierte jenseits des pelzigen Schattens. Der Lykanthrop taumelte rückwärts, fiel aber nicht. Die Schrotflinte schoss ein zweites Mal aus beiden Läufen. Ehe der Knall verhallt war, kroch ich durchs Laub um den Lykanthropen herum. Chuck hatte wie wild die Augen aufgerissen, dennoch lud er neu. Er war gut.
Ich stieß ihm die Klinge direkt unter der glänzenden Gürtel schnalle hinein. Ein Zittern durchlief ihn, doch er drückte die Patronen in den Verschluss. Ich drückte die Klinge hinein, bis ich auf Knochen stieß, die Wirbelsäule oder den Beckenknochen, wer weiß. Chuck ließ das Gewehr über dem Unterarm zuschnappen wie beim Skeetschießen. Ich zog das Messer heraus, es kam mit einem Schwall Blut.
Er fiel in Zeitlupe aufrecht auf die Knie. Ich nahm ihm die geladene Waffe aus den Händen, und er hinderte mich nicht. Er kniete im Laub und starrte ins Dunkle. Er schien mich nicht mehr zu sehen.
Ein gellender Schrei ertönte hinter mir. Ich drehte den Kopf. Es war der Gewehrschütze. Er saß am Boden und reckte einen Arm zum Mond hinauf. Der Unterarm fehlte. Jason lag reglos im Laub. Zane saß neben ihm, der Rücken seines gelben T-Shirts war voller Blut.
Ich stand auf und ging von Chuck weg. Er fiel mit dem Gesicht nach vorn. Es war gerade so viel Leben in ihm, dass er den Kopf zur Seite drehte, sich aber nicht mehr mit den Händen abfangen konnte. Der Werwolf, der mich gerettet hatte, lag auf dem Rücken und rang nach Luft. Er hatte ein Loch im Bauch, das größer war als meine beiden Fäuste. Es stank wie Erbrochenes, nur schärfer. Seine Därme waren durchlöchert. Das sagte mir der Geruch. Er würde daran nicht sterben. Selbst nicht, wenn die Kugeln aus Silber waren.
Die zweite Wunde war in der Brust. Sein schwarzes Fell war nass. Ich hätte beide Hände in das dunkle, nasse Loch stecken können, aber im Dunkeln konnte ich überhaupt nichts erkennen. Es war nicht zu sehen, ob das Herz getroffen war.
Das Atemgeräusch hörte sich nass und wie abgeschnürt an. Ich hörte Blasen in der Wunde platzen. Also war mindestens ein Lungenflügel beeinträchtigt. Er atmete noch, also musste auch das Herz noch schlagen, oder?
Werwölfe sahen ungefähr aus wie ihre Artgenossen im Film. Aber die Filme trafen die Wirklichkeit nie so ganz. Dieser hier lag röchelnd auf dem Rücken, eindeutig ein männlicher Werwolf. Ich dachte zuerst, es sei einer von Vernes Leuten. Dann sah ich an einer Schulter den Rest eines weißen T-Shirts wie eine vergessene Haut. Ich zog es sacht auseinander und sah den Smiley. Ich starrte in die gelben Wolfsaugen, Jamils Augen. Er hatte getan, was man von einem Leibwächter erwartete. Er hatte meine Kugeln abgefangen. Ich zog mein Polohemd aus und packte es in die Brustwunde. Ich brauchte beide Hände, um sie abzudecken und zu
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