Anita Blake 12 - Nacht der Schatten
Hand nehmen.«
»Wie viele Engel können auf einer Nadelspitze tanzen, meinen Sie?« »So ähnlich.« Sie lächelte.
»Ich habe ein Kreuz gehalten, während es so hell leuchtete, dass es mich blendete, bis die ganze Welt nur noch weißes Feuer war. Ich habe einen Talmud in den Händen eines Vampirs in Flammen aufgehen sehen, und selbst nachdem das Buch zu Asche verbrannt war, brannte der Vampir noch weiter, bis er ebenfalls Asche war. Ich habe vor einem Dämon gestanden und die Heilige Schrift zitiert, und der Dämon konnte mich nicht berühren.« Ich schüttelte den Kopf. »Religion ist nicht abstrakt, Dr. Lillian, sie ist lebendig, sie atmet, sie wächst wie etwas Organisches.«
»Organisch klingt mehr nach Hexenglaube als nach Christentum«, sagte sie.
Ich zuckte die Achseln. »Ich habe ein Jahr lang bei einer medial veranlagten Frau und ihren Hexenfreundinnen gelernt. Das muss ja irgendwie abfärben.«
»Bringt Sie das nicht in eine sonderbare Position?« »Sie meinen, weil ich Monotheist bin?« Sie nickte.
»Ich habe gottgegebene Fähigkeiten, bin aber nicht ausreichend geschult, um sie zu beherrschen. Die meisten Kirchen betrachten mediale Menschen mit Ablehnung, erst recht Menschen, die Tote erwecken. Ich brauche Schulung, also suche ich mir Leute, die mich schulen können. Dass meine Ausbilder keine Christen sind, sehe ich als Schuld der Kirche an und nicht als Schuld meiner Ausbilder.«
»Es gibt auch christliche Hexen«, sagte sie.
»Ich kenne ein paar. Die scheinen alle fanatisch zu sein, so als müssten sie christlicher sein als jeder andere und damit beweisen, dass sie es wert sind, zu einer christlichen Kirche zu gehören. Ich mag religiöse Fanatiker nicht.«
»Ich auch nicht.«
Wir sahen uns in der dunklen Küche an. Sie hob ihren Kaffeebecher. Ich hatte ihr den mit dem kleinen Ritter und dem riesigen Drachen gegeben, wo drunter steht: Ohne Mumm keinen Ruhm.
»Nieder mit den Fanatikern«, sagte Lillian.
Ich hob meinen Becher. Es war der mit dem Babypinguin, noch immer mein bevorzugter. »Nieder mit den Fanatikern.«
Wir tranken. Sie stellte den Becher auf das Tablett und sagte: »Habe ich Ihre Erlaubnis, die Gegenmittel bei Gregory einzusetzen ?«
Ich atmete einmal tief durch, dann nickte ich. »Wenn er einverstanden ist, tun Sie's.«
Sie stand vom Tisch auf. »Dann werde ich jetzt alles vorbereiten.«
Ich nickte und blieb sitzen. Ich betete gerade, als ich jemanden hereinkommen hörte. Ohne die Augen zu öffnen, wusste ich, dass es Micah war.
Er wartete, bis ich den Kopf hob und die Augen aufmachte. »Ich wollte dich nicht unterbrechen«, sagte er. »Ich bin fertig«, antwortete ich.
Er nickte und bedachte mich mit seinem typischen Lächeln, das teils heiter, teils bekümmert wirkte und bei dem noch etwas Drittes mitschwang. »Du hast gebetet?«, fragte er. »Ja.«
Durch einen Lichtreflex schien es, als ob seine Augen im Dunkeln leuchteten, so als läge eine verborgene Glut in der goldgrünen Tiefe. Dabei blieb das übrige Gesicht schemenhaft im Dunkeln und ließ die Augen als das einzig Wirkliche an ihm erscheinen.
Ohne sein Gesicht zu sehen, wusste ich, dass er aufgebracht war. Ich spürte die Spannung im Rücken. »Was ist los?«, fragte ich.
»Ich weiß nicht mehr, wann ich zuletzt gebetet habe.« Ich zuckte mit den Schultern. »Viele Leute beten nicht.« »Wieso überrascht es mich, dass du es tust?«, fragte er. Ich zuckte auch dazu die Achseln.
Er kam einen Schritt näher, und das Licht fiel auf sein ganzes Gesicht und dieses eigentümlich gemischte Lächeln.
»Ich muss weg.« »Was ist los?« , fragte ich. »Wie kommst du darauf, dass etwas los ist?«
»Durch die Anspannung zwischen dir und deinen Katzen. Was ist los, Micah?«
Er rieb sich die Lider mit Daumen und Zeigefinger, als wäre ermüde, dann sah er mich mit seinen juwelenhaften Augen an.
»Ein Notfall im Rudel. Wir haben ein Mitglied, das heute Nacht nicht kommen konnte. Sie steckt in Schwierigkeiten.« »In was für Schwierigkeiten?«
»Violet ist wie euer Nathaniel; sie hat von uns allen die geringste Dominanz.« Er sagte das, als erklärte es alles. Tat es und tat es nicht. »Und?«, fragte ich.
»Und ich muss ihr raushelfen.« »Ich mag keine Geheimnisse, Micah.«
Er fuhr sich seufzend über die Haare, zog sein Haargummi raus, warf es auf den Boden und kämmte sich mit den Fingern die
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