Anklage
Anwalt auszusprechen, um ihn zu einer nachteiligen Handlung für seinen Mandanten zu bringen, das war die Höhe. Die Einsamkeit in dieser Situation war bedrückend. Ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Wieder lag eine schlaflose Nacht mit Bauchschmerzen vor mir.
Am nächsten Tag entschloss ich mich, meinen Mandanten zu fragen, ob er das Spiel mitmachen wollte. Wenn er zustimmen würde, wollte ich das Mandat niederlegen.
Als ich meinem Mandanten die Situation geschildert hatte, schaute er mich fassungslos an und schwieg. Er stand auf und drehte sich um. Mit abgewandtem Gesicht blieb er in einer der Ecken der Besuchszelle stehen.
»Um das geht es also, die wollen meinen Laden übernehmen.« Wieder schwieg er. Nach einer Minute fragte ich ihn, was ich also ausrichten darf. Dabei bemühte ich mich, möglichst neutral zu wirken.
»Sagen Sie diesen Hurensöhnen, dass sie mich mal kreuzweise können. Die bekommen meinen Laden nicht.« Ruckartig
drehte er seinen massigen Körper wieder in meine Richtung. Sein Gesicht war nicht so entschlossen, wie seine Stimme vermuten ließ. War da tatsächlich Angst zu erkennen? Seine Stimme verlor an Kraft. »Außer natürlich, wir haben keine Chance. Ich meine, im Gericht. Haben wir eine Chance? Können Sie mich da auch anders raushauen?«
»Ich kann’s versuchen, versprechen kann ich es nicht.«
»Bitte lassen Sie mich nicht im Stich.«
Nun war es also soweit. Ich war der einzige Verbündete eines Mannes, den man des Menschenhandels beschuldigte. Wir waren Verbündete mit so verschiedenen Voraussetzungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Während mein Mandant »seinen Laden« nicht verlieren wollte und auch vermeiden wollte, ins Gefängnis zu müssen, wollte ich mich schlicht nicht mithineinziehen lassen. Und das alles nur, weil ein anderer Kollege offensichtlich die Distanz zu seinem Klienten nicht wahren konnte und auf Seiten der Täter stand. Ich war in die Ecke gedrängt. In meinem Zorn auf meinen berühmten Kollegen sicherte ich meinem Mandanten meine Unterstützung zu. Ich wusste, dass es sehr hart werden würde.
Natürlich meldete ich mich nicht am Freitag bei meinem Kollegen, um eine Entscheidung mitzuteilen. Es kam auch von seiner Seite keine Reaktion. Nicht von ihm selbst, nicht von dem, den er mir als »Berater« seines Mandanten vorgestellt hatte, und auch nicht aus irgendeinem Umfeld. Ich war erleichtert, wenn auch nicht beruhigt. Aber noch war die Gefahr nicht gebannt.
24
An einem sonnigen Morgen ein paar Wochen später saß ich an meinem Schreibtisch und checkte meine E-Mails. Eine dampfende Tasse Kaffee verströmte angenehmen Duft. Die ins Zimmer scheinende Sonne steigerte meine Vorfreude auf eine entspannende Mittagspause in einem Straßencafé. An den berühmten Anwaltskollegen dachte ich nicht mehr, schließlich waren schon fünf Wochen seit dem Gespräch vergangen. Doch dann klingelte es Sturm an der Kanzleitür. Anschließend waren statt des üblichen Gesprächsgemurmels am Empfang knappe Anweisungen in einem rabiaten Befehlston zu hören. Mehrere Personen waren eingetreten.
Kurz darauf öffnete die Empfangssekretärin meine Bürotür zum ersten Mal, ohne vorher anzuklopfen, und streckte den Kopf durch die Tür. »Könnten Sie bitte schnell mal kommen. Ist sehr dringend!«
Im gleichen Moment flog die Bürotür auf und eine kleine, untersetzte Gestalt trat ein. In seiner rechten Hand hielt der Mann irgendeinen Ausweis, in der linken einen offiziell aussehenden Zettel.
»Ich bin Oberstaatsanwalt und leite die Ermittlungen gegen Sie. Ich habe einen Durchsuchungsbefehl für Ihr Büro. Am besten Sie verhalten sich kooperativ!«, brüllte er mich an. Hinter ihm kamen zwei Polizeibeamte in mein Büro. Sie hatten dunkelblaue Plastikkisten dabei, um gesichertes Beweismaterial abzutransportieren.
»Das Spiel ist aus. Selbstverständlich können Sie schweigen, was Sie als Anwalt ja wissen, aber ich rate Ihnen, seien Sie besser kooperativ.« Wie ein Pitbull hetzte er durch mein Büro und blieb vor meinem Schreibtisch stehen. »Ich nehme stark an, Sie wissen nur zu genau, warum ich hier bin.«
»Nein, klären Sie mich auf und zeigen Sie mir den Durchsuchungsbefehl«, erwiderte ich äußerlich total ruhig und gelassen. Innerlich fuhr ich dagegen Achterbahn mit Fünferlooping. Der Oberstaatsanwalt gab mir den für Täter bestimmten Durchschlag der Anordnung. Dort stand zu lesen, ich hätte im Verfahren des Menschenhandels eine Zeugin
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