Anklage
aufgesucht und sie aufgefordert, eine Falschaussage zu Gunsten meines Mandanten zu machen. Das Ganze hätte ich mit einem Geldbetrag untermauert und für den Fall der Weigerung ernsthafte körperliche Konsequenzen angedroht. Die Zeugin arbeitete als Prostituierte und hatte dem Schriftstück zufolge sehr große Angst vor mir. Nach meinem Besuch hätte sie sich vertrauensvoll unter die Obhut der Behörden gestellt und den strafbaren Vorgang zur Anzeige gebracht. Begründet hätte ich die Forderungen mit einer schriftlichen Anweisung meines Mandanten. Und nach genau dieser Anweisung suchten die Herren von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei gerade in meinem Büro.
Der berühmte Kollege hatte Wort gehalten. Eine Intrige abscheulichsten Ausmaßes. Er hatte scheinbar wirklich einflussreiche Freunde und sowohl das Geschick wie die Macht, die Staatsanwaltschaft für seine Pläne zu instrumentalisieren. Und die war nun gerade dabei, meinen Ruf und meine Reputation zu zerstören.
Nach drei Stunden Durchsuchung zogen die Beamten wieder ab. Ich hatte nichts von dem verbrochen, was mir da vorgeworfen wurde. Trotzdem hatte ich es vorgezogen, den Rat zu befolgen, den ich meinen Mandanten für solche Situationen auch immer gab: ruhig bleiben und keine Aussage machen! Niedergeschlagen sank ich nach dem Ende dieses Spuks in meinem Sessel zusammen, als auch schon die Sekretärin ihren Lockenkopf zur Tür hereinstreckte. »Sie sollen zum Chef kommen. Sofort!«
Entgegen sonstiger Gepflogenheiten fand diese Besprechung nicht im Büro des Chefs statt, sondern im großen Besprechungszimmer. Als ich eintrat, saßen dort alle Anwälte und warteten auf mich. Gezeichnet von der psychischen Strapaze, unter Verdacht zu stehen und eine Durchsuchung über sich ergehen lassen zu müssen, stand ich an einem Ende des langen Konferenztischs. Ich kam mir vor wie vor einem Tribunal.
»Was war denn das?«, fauchte einer der Anwälte, der neben dem Chef am längsten in der Kanzlei war. »Sie zerstören unsere Kanzlei mit solchen Machenschaften.«
Nun verdächtigten mich also auch schon die eigenen Kollegen. Nur weil ein wild gewordener Staatsanwalt Krawall machte, stand ich da wie ein Verbrecher. Wo war eigentlich die Unschuldsvermutung geblieben und was zum Teufel war die überhaupt noch wert?
Also erzählte ich die ganze Geschichte, ich erzählte von den Drohungen des berühmten Kollegen und dass diese Durchsuchung für mich eindeutig auf seine Machenschaften zurückgingen. Stumm hörten mir meine Kollegen zu. Es schien keiner glauben zu wollen, dass sich ein Staatsanwalt einer Intrige vorspannen lässt, vielmehr dachten sie wohl, wie die meisten denken: Es wird schon was dran sein, wenn die Behörde so ein Tohuwabohu veranstaltet. Ich stand als Täter in der Meinung meiner Kollegen da, obwohl ich unschuldig war. Insgeheim werden sie sich auch gesagt haben, dass meine Erfolge wohl doch keine Wunder seien, wenn man mit solchen Mitteln arbeitete.
Ob es menschlich ist, dass man lieber an die Schuld als an die Unschuld von anderen glaubt? Gibt es deswegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung, weil wir Menschen uns sofort auf einen Schuldigen festlegen, ohne über eine Sache weiter nachzudenken und ihre Ursachen zu ergründen? Ob ich mich davon je wieder würde reinwaschen können?
Noch während mir all diese Fragen durch den Kopf schossen, beendete der Chef die Zusammenkunft mit den Worten: »Sie bringen das in Ordnung und dann unterhalten wir uns wieder!«
Wortlos standen alle Anwesenden auf gingen zurück in ihre Büros. Ich blieb an der Stelle stehen, an der ich mich zuvor gerechtfertigt hatte. Keiner schaute mich mehr an, ich war kanzleiintern ganz unten angekommen.
Nun brauchte ich dringend Hilfe. Oder sollte ich mich selbst verteidigen nach dem alten Sprichwort: »Der Anwalt, der sich selbst vertritt, hat einen Esel als Mandanten«? Nein, ich brauchte einen Anwalt, und da fiel mir nur einer ein, dem ich uneingeschränkt vertraute und der zudem die nötigen Fähigkeiten hatte, die ich für meine Verteidigung benötigte. Ich griff zum Telefon und vereinbarte sofort einen Termin.
Als ich am Abend in der Kleinstadt ankam, in der meine Anwaltslaufbahn ihren Anfang genommen hatte, fühlte ich mich sicher. Selbst die Tiefgarage der alten Kanzlei gefiel mir noch nie so gut wie in diesem Moment, und auch das total verrauchte Zimmer des Strafrechtlers störte mich überhaupt nicht. Die Begrüßung war herzlich, gerade so, als wäre der
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