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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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Notwendigkeiten. Sogar einem Anwalt, der sich unabhängiges Organ der Rechtspflege nennen darf, geht das so. Wie groß kann also diese Unabhängigkeit sein? Der Fall der Betriebsstilllegung und der Selbstmord hatten mich berührt und zum Nachdenken gebracht. Doch schnell blockte ich diese Gedanken ab und rückte den Fall des Mandanten, der jetzt vor mir saß, wieder in den Mittelpunkt meiner Konzentration. Ich wollte wieder der Anwalt sein, der gewinnt, der seinen Mandanten so gut wie möglich aus dem Prozess kommen lässt, egal, was der gemacht hat, Hauptsache er zahlt. Und jetzt ging es darum, den Haftprüfungstermin vorzubereiten.
    »Was haben die denn eigentlich für Zeugen?«, fragte mein Mandant in aggressivem Ton.
    »Zwei oder drei Frauen haben ausgesagt. Die bestätigen den Vorwurf und beschreiben das System des Geschäfts«, fasste ich die Vernehmungsprotokolle zusammen.
    »Sind die noch in Deutschland?«

    »Soweit ich weiß, wurden sie in ihre Heimat abgeschoben. Kein gültiges Visum, keine Arbeitserlaubnis. Das übliche eben.«
    Mein Mandant nickte und grinste. »Dann sollten wir noch ein bisschen mit der Haftprüfung warten, das ist besser.«
    Er war ein echter Profi und wusste genau, dass Verbrechen im Rotlichtmilieu meist nur mit Zeugenaussagen nachzuweisen sind und dass genau dieser Zeugenbeweis der schwächste aller Beweise ist. Die Zeugen müssen ihre Geschichte vor Gericht erzählen, denn jeder Richter muss das Urteil mit dem begründen, was er in der Hauptverhandlung gelesen, gehört oder gesehen hat. Für den Zeugenbeweis bedeutet das, dass alles, was dort nicht vorgebracht wird, nicht als Urteilsgrund tauglich ist. Im Juristendeutsch heißt es dann, es stamme nicht »aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung«. Und genau darauf zielte mein Mandant ab. Oft waren die Zeugen im Ausland nicht oder erst nach längerer Zeit auffindbar, zumal, wenn es sich um ein Land handelt, das über kein so gut geregeltes Meldewesen verfügt wie Deutschland. Mein Mandant hoffte, nein, er schien sich sicher zu sein, dass die Zeuginnen, wenn sie denn aussagten, nicht mehr das aussagen würden, was ihn belasten würde. Im Idealfall würden sie ihn sogar entlasten. Dass das mit Einschüchterungsversuchen oder gar massiven Drohungen einherging, war in diesem Milieu nicht auszuschließen. Diese »Motivationshilfen« für einen Gedächtnisschwund gab es in den unterschiedlichsten Bereichen und in vielen Formen: von der anspielungsreichen Formulierung bis zur handfesten körperlichen Bedrohung.
    »Nehmen Sie den Haftprüfungsantrag zurück«, meinte mein Mandant also. »Wir warten noch. Schließlich haben wir ja nur einmal die Möglichkeit für eine mündliche Haftprüfung« Wahrscheinlich dachte er sich: lieber sechs Monate Untersuchungshaft als sechs Jahre Strafhaft.

23
    Allerdings ging die Rechnung nicht so auf, wie mein Mandant sich das gedacht hatte, denn es gab weitere Beschuldigte in diesem Fall und die hatten sehr einflussreiche Freunde - so einflussreiche Freunde, dass sich die Kanzlei eines der berühmtesten Strafverteidigers des Landes um diese (Mit-)Täter kümmerte. Dieser bereits ältere und sehr erfahrene Kollege war legendär und gefürchtet und in Anwaltskreisen sprach man seinen Namen immer mit einer Spur Ehrfurcht aus. Ich war sehr überrascht, als der berühmte Kollege sich telefonisch bei mir meldete. Was ich bei diesem Telefonat noch nicht ahnen konnte: Ich sollte eine neue Stufe der schmutzigen Verteidigung kennenlernen, die zunächst ganz harmlos und unauffällig daherkam.
    Der berühmte Kollege lud mich zu sich ins Büro ein, um eine gemeinsame Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Denn schließlich würden wir Anwälte ja im gleichen Boot sitzen, verbunden durch unsere Mandanten. »Da schadet eine gemeinsame Kursbestimmung sicher nicht«, sagte er im Brustton der Überzeugung. Wir verabredeten uns also für den übernächsten Tag in seinem Büro.

    Den dazwischenliegenden Tag nutzte ich aber noch, um meinen Mandanten zu besuchen und mich über die Hintergründe der anderen Beschuldigten zu informieren, über die er mir bisher nichts gesagt hatte. Bei diesem Gespräch kam nichts heraus, was die Sachlage grundlegend geändert hätte, und so machte ich mich am folgenden Tag entspannt und neugierig auf den Weg in die Kanzlei des berühmten Kollegen.
    In der Kanzlei wartete ich etwas nervös vor dem Schreibtisch der Empfangssekretärin, bis sie mich anmeldete und schließlich
ins Büro des berühmten

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