Anklage
verlorene Sohn zurückgekehrt. Wir standen einander gegenüber und klopften uns wie alte Freunde gegenseitig auf die Schultern. Als ich mich setzte, war ich erleichtert, auch wenn mich der Grund meines Besuchs sehr mitnahm.
Ohne weitere Umschweife erzählte ich die Geschichte meines Menschenhandelfalls, die Besprechung bei dem berühmten Kollegen und seine Drohung. Auch die Durchsuchung beschrieb ich bis ins kleinste Detail. Als ich fertig war, herrschte eine gefühlte Ewigkeit Stille.
Der Kollege zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. »Eine knifflige Sache, die Sie mir da präsentieren.«
»Ich habe nichts gemacht, ich bin unschuldig.«
»Ich weiß, das sagen sie alle.«
Einen kurzen Moment blieb mir das Lachen im Hals stecken, doch dann brachen wir beide in schallendes Gelächter aus, auch wenn die Situation - für mich jedenfalls - sehr ernst war. Lachen befreit und mir half es in diesem Moment, meine Verzweiflung in den Griff zu bekommen. Wir beruhigten uns schnell wieder, denn dazu war die Sache schließlich viel zu ernst.
Trotz der Vertrautheit fühlte ich mich immer noch in Erklärungsnot und ergriff das Wort. »Das ist doch genau die Masche, die mir der Kollege angekündigt hat. Ich habe doch gar keine Motivation, irgendeine Prostituierte zu bedrohen. Warum sollte ich das machen und warum in aller Welt sollte mir mein Mandant auch noch eine schriftliche Anweisung dazu geben? Leichter und blöder kann man sich doch nicht verraten. Das ist doch geradezu widersinnig.«
»Aus logischen Gesichtspunkten haben Sie recht, aber die Menschen glauben nun mal das, was sie gern glauben möchten. Oder das, was skandalös klingt. Ein gefallener Anwalt ist für viele ein gefundenes Fressen. Mich wundert es deshalb nicht, dass man auf Sie losgegangen ist. Wir brauchen eine sehr gute Taktik, sonst können wir die Wahrheit nicht beweisen.« Mir wurde fast schwarz vor Augen. Braucht man wirklich eine gute Taktik, um sich gegen Lügen zu wehren? Ist meine Aussage nichts mehr wert, nicht mal dann, wenn sie gegen die erfundene Aussage einer Prostituierten steht? Gilt der ungeprüfte Vorwurf mehr als die Wahrheit, sind die Menschen wirklich so oberflächlich?
»Haben Sie denn ein Alibi für das angebliche Gespräch, also die Tatzeit?«
»Wie denn? Ich weiß doch nicht mal, wann das stattgefunden haben soll!«
»Gut, dann haben wir unsere Taktik schon fürs Erste. Ich werde Akteneinsicht beantragen und anschließend schauen wir mal in Ihren Kalender. Vielleicht ist die Sache dann ganz schnell erledigt.«
Ich war erleichtert. Trotzdem konnte ich auf der Rückfahrt den Gedanken an eine Verurteilung und die Folgen nicht verdrängen. Dabei war es gar nicht so sehr der drohende Verlust meiner Anwaltszulassung als Folge einer Verurteilung, sondern viel mehr die Ungerechtigkeit, die mich auffraß. Ich wollte nicht für etwas bestraft werden, das ich nicht getan hatte.
Am nächsten Morgen ging ich wieder ins Büro, als wäre nichts gewesen. Als ich gegen 7 Uhr 45 in meinem Büro eintraf, herrschte dort bereits Hochbetrieb. Anders als sonst schienen die wenigsten erfreut, mich zu sehen. Unterkühlte Begrüßungen und ausweichende Blicke waren die eindeutigen Zeichen. Hinter meiner geschlossenen Bürotür tüftelte ich an einer Taktik für meinen Mandanten, oder besser gesagt an seiner und mittlerweile auch meiner Verteidigung. Im Sog meiner Probleme hatte ich die Mitarbeiter des stillgelegten Betriebs ganz vergessen, aber sobald das Gericht einen Verhandlungstermin über die eingereichten Klagen bestimmte, würden die Akten wieder auf meinen Tisch kommen.
25
Bevor ich meine Verteidigungstaktik umsetzte, hielt ich es für sinnvoll, meinen Mandanten wieder zu besuchen und ihn über die neue Situation zu informieren.
Als er die Besuchszelle betrat, fiel mir sofort auf, dass er mitgenommen aussah. Ich schilderte ihm die Neuigkeiten in kurzen und knappen Sätzen, er hörte aufmerksam zu.
Nachdem ich fertig war, blickte er mich intensiv an. »Wenn ich mich nicht irre, sitzen wir beide nun im selben Boot. Ich denke, wir sollten zusammenhalten, auch wenn wir in unterschiedlichen Welten leben. In meinen Kreisen bedeutet das, sich eine Art Versprechen zu geben, die Sache gemeinsam durchzustehen. Ich weiß nicht, wie man das dort macht, wo Sie herkommen, aber in meiner Welt sichert das das Überleben. Und wir beide sind momentan mehr in meiner Welt als in der Ihren.«
Obwohl mich diese Situation anwiderte, konnte
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