Ankunft Der Woelfe
blickte in ein junges, pickeliges Gesicht. »Entschuldigen Sie, ich habe eine Kaffeepause gemacht. Sind Sie hier fertig?«
Eva lächelte. »Und haben Sie schon eine Zigarette geraucht?«
»Leider nein.« Der Student grinste breit und fasste sich an die ausgebeulte Brusttasche. »Dazu reichte die Zeit nicht.«
»Dann gehen Sie schnell! Ich brauche hier noch zwei Minuten.«
»Danke«, sagte der junge Mann und verschwand in Richtung Notausgang.
Schmunzelnd über ihren Einfall blickte Eva ihm hinterher. Sie wusste, draußen auf der Eisentreppe befand sich eine geduldete Raucherecke. Der Student wäre also ein paar Minuten beschäftigt.
Erneut streifte sie Handschuhe über und zog zwei sterile Röhrchen aus einer Schublade. Vom Nagelbettgewebe des am stärksten gebogenen Zeigefingers entnahm sie eine Gewebeprobe. Die Hornschicht des Nagels am Mittelfinger hatte eine leicht dunkle Verfärbung. Es sah ihr weder nach eingezogenen Nagellackresten noch nach einem Nagelpilz aus. Kurz entschlossen nahm sie auch hier eine Probe und stellte diese mit Datum und Namen versehen ganz nach hinten in den Kühlschrank für besondere Lehrzwecke.
8
BEA-Klinik, gegen 22:00 Uhr
Eva nahm den buchsbaumgesäumten Weg zum imposanten Komplex der BEA-Klinik. Der Anblick kam ihr fast wie eine leise Ironie vor: Der Enhancement-Bereich lag in völliger Dunkelheit, das Beauty-Hauptgebäude in der Mitte gnädig im Halbdunkeln und der Athletic-Komplex erstrahlte im eitlen Glanz farbiger Halogenlichter.
Sie stieg die Stufen zum Portal hinauf und betrat die festlich erleuchtete, gläserne Eingangshalle. Rechts und links säumten zwei übermannshohe griechische Skulpturen das Entree. Adonis und Aphrodite präsentierten ihre wohlgeformten hüllenlosen Körper.
Der Schönheitskongress war bereits beendet. Rund hundert Gäste verweilten mit Häppchen und Champagner an Stehtischen und plauderten oder entspannten sich in den Lounge-Sesseln aus weißem Kalbsleder. Eva bog rechts in den Gang ab, überreichte ihre Jacke an der Garderobe einer freundlich lächelnden Dame und ging zurück ins Foyer.
An den Wänden warben die jüngsten Gemälde eines in Arztkreisen besonders beliebten Künstlers um Aufmerksamkeit. Eva trat an ein lebensgroß in Öl gemaltes Bild heran und betrachtete es gelangweilt. Das Kunstwerk zeigte den makellosen Körper einer nackten, auf einem gehörnten Stierfell liegenden Frau. Ein rotes Tuch bedeckte ihren Venushügel.
»Wie gefällt es dir?«
Evas Vater stand neben ihr und reichte ihr ein Glas Champagner.
»Dad, lass uns bitte jetzt nicht über Kunst reden«, wich sie seiner Frage aus, hakte sich bei ihm unter und zog ihn zum Buffet.
»Sagt dir der Name Tabea Niemann etwas?«
Seine buschigen Augenbrauen ruckten zusammen. »Muss ich die Dame kennen?«
»Vielleicht ihre Nase?«
Ihr Vater blieb stehen. Ein Leuchten ging über sein Gesicht. »Begradigung und Verkleinerung. Woher kennst du sie?«
»Sie ist tot, Dad.«
»Ach, du meine Güte. Woher weißt du … ähm, was ist passiert? Hatte sie einen Unfall?«
»Nein. Sie hat Selbstmord begangen. Liegt in der Rechtsmedizin.«
Ihr Vater zog die Nase kraus. »Was hast du mit so etwas Hässlichem wie dem Tod zu tun? Die Rechtsmedizin ist doch nun wirklich kein Ort für dich, mein Schatz.«
»Papa. Ich habe dort ersatzweise unterrichtet. Jemand ist an Krebs erkrankt.«
»Das wird ja immer fürchterlicher.«
»Ich werde seinen Kurs übernehmen. Punkt aus. Wie gesagt, sie haben da diese Tote. Perfekt operierte Nase und eine leicht verkrümmte Hand, die bereits einmal korrigiert wurde.«
»Kind, was willst du mir damit sagen? Ich habe die Hand nicht operiert.« Er zog eine Augenbraue hoch.
»Ich frage mich nur, ob sie darunter litt.«
»Sie hatte gar nichts an der Hand.«
»Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen.«
»Kind, das ist mein Beruf. Mir wäre auch alles andere aufgefallen.«
»Sie hatte künstliche Fingernägel. Vielleicht hast du es übersehen?«
»Nein. Im Übrigen hatte sie keine künstlichen Nägel.«
Eva zog die Stirn kraus. »Verwechselst du sie vielleicht?«
»Ich verwechsle niemals eine Nase.«
»Ach, egal. Lass uns über etwas anderes reden. Der Leiter der Rechtsmedizin, Professor Steinmeier …«
»Ich kenne ihn.«
»Schön. Er hat mir einen Job angeboten.«
»Den du hoffentlich höflich abgelehnt hast.«
»Nein, ich denke darüber nach, ob …«
»Ob du dir deine Karriere endgültig versauen willst? Nur zu!«
»Ich wusste es, ich hätte
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