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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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müssen wir eben weiter. Nicht wahr?«
    Er brummte. »Manchmal ist diese Art Logik verdammt dumm, Marlow.« Er zuckte die Achseln. »Wir müssen in Tarvisio etwas Geld springen lassen.«
    »Wofür?«
    »Lebensmittel und Kleidung. Wollene Kappen, um unsere Ohren warmzuhalten. Handschuhe und Skigamaschen, damit die Fußgelenke trocken bleiben. Jeder von uns muß noch einen Pullover haben, dann brauchen wir Wollschals, eine Flasche Rum und eine bessere Karte als diese da. Ich habe versucht, den Mann über die Wege auszuhorchen. Natürlich konnte ich nicht mehr sagen, als daß wir ein paar schöne Touren machen wollen, aber ich habe aus ihm herausgebracht, daß es eine alte, nicht mehr benützte Straße gibt, die ein paar Kilometer südlich der Autostraße über die Grenze führt. Anscheinend ist sie jetzt überwuchert und nicht viel mehr als ein Fußsteig. Er erwähnte sie, um mich zu warnen. Offenbar sind letzten Sommer vier Touristen, als sie sie benutzten, versehentlich auf die andere Seite der Grenze geraten und von der jugoslawischen Grenzwache beschossen worden. Das ist der Weg, den wir einschlagen müssen.«
    »Ich wollte immer schon gern von einer jugoslawischen Grenzwache beschossen werden.«
    »Seien Sie nicht kindisch! Es wird dunkel sein. Außerdem sind es die Italiener, über die wir uns Sorgen machen …« Er verstummte plötzlich. Die Tür wurde aufgeschoben, und der Bauer nahm seinen Platz ein. Für den Rest der Reise betrachtete ich schweigend die Wolken.
    Kurz nach sechs verließen wir Tarvisio auf der Nebenstraße, südlich von Fusine.
    Es ging fast sofort bergauf. Die Straße lief in Serpentinen über einen grauen Felsrücken. Unter uns wuchsen auf den Berglehnen Eschen und Fichten wie die Stacheln eines Stachelschweines. Durch den dichten Nebel, der ins Tal hinabtrieb, konnten wir dann und wann den Schnee auf den Abhängen der wolkenverhüllten Höhen vor uns sehen. Es ging kein Wind, aber es war bitter kalt. Die Luft war schneidend und prickelte im Gesicht. Es duftete fast betäubend nach Fichtenharz. Die Kälte hielt mich wach. Es war schon fast acht Uhr, als wir an die Schneegrenze kamen.
    Kurz vor Fusine wand sich die Straße nach links, während wir unseren Weg rechts, den Hügel hinan, einschlugen.
    Nach Zaleshoffs Karte und dem Kompaß zu urteilen, gingen wir jetzt auf die von dem Bauern erwähnte Straße zu. Zaleshoff hatte ausgerechnet, daß wir sie vor dem Dunkelwerden erreichen müßten. Einige Zeit stiegen wir bergauf durch einen dichten Fichtenwald, in dem die Nebel trieben und sich zusammenballten wie lange Geisterfinger, die nach etwas suchten. Es war ganz still. Nur hin und wieder unterbrach das laute, heisere Krächzen der Bergdohlen die Ruhe. Danach war es um so stiller. Wenn wir sprachen, geschah es im Flüsterton. Dann sahen wir durch die Bäume vor uns einen weißen Fleck.
    Die Flecken mehrten sich. Zuerst waren sie dünn und sahen, als unsere Stiefel darüberhin knirschten, wie Kristallzucker aus. Dann wurden sie dicker und gingen allmählich ineinander über, bis wir vor uns nur mehr eine einzige weiße Fläche sahen. Die Luft wurde kälter.
    Auf einmal mußten wir uns dann unsern Weg um eine tiefe Schneewächte herum bahnen, die sich in einer kleinen Senke angesammelt hatte. Auf der andern Seite war der Schnee fast ebenso tief. Als ich mich weiterarbeitete, dachte ich, daß es hinter der Schneetrift leichter gehen werde, aber es wurde immer schwerer. Jetzt kam eine Wächte nach der andern. Der Schnee reichte uns schon über die Knie. Es war ein trockener, festhaftender Pulverschnee, der die Füße schwermachte. Der Wald war jetzt voller Geräusche, rieselnder, geheimnisvoller Geräusche, wenn das dichte Dach der Fichtennadeln hoch über uns unter der Last des Schnees nachgab und weiße Kaskaden durch die tieferen Äste zu Boden stäubten. Der Nebel war dicker geworden.
    Um dreiviertel neun Uhr gelangten wir auf die Höhe dieses langen Rückens. Wir rangen beide nach Luft, und Zaleshoff blieb stehen. Als er dann wieder zu Atem kam, sagte er:
    »Wir müssen jetzt oberhalb Fusine sein und etwas weiter – etwa hier.« Er zeigte auf die Karte, aber ich nahm mir nicht die Mühe, hinzusehen. »Wenn wir jetzt in gleicher Höhe etwas weitergehen, müssen wir auf den Pfad kommen, wo er über den Kamm geht. Das heißt, wenn wir ihn überhaupt ausmachen können. Wenn sich nur dieser verdammte Nebel heben wollte.«
    Wir gingen weiter. Trotz der Anstrengung des Steigens und trotz meiner

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