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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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Zaleshoff von dem Rum trank.
    Als die Frau wieder die Treppe herunterkam, standen wir beide in den Socken da. Sie blickte auf die Flasche in Zaleshoffs Hand.
    »Rum?«
    »Ja, Signorina, wir sind ziemlich durchnäßt.«
    Sie nickte. »Ich sehe. Hier sind alte Pantoffeln. Setzen Sie sich doch ans Feuer. Ich bringe Ihnen ein paar Decken. Mein Vater wird gleich herunterkommen.«
    Sie verschwand durch eine andere Tür. Wir zogen die Pantoffeln an und gingen zum Feuer im Zimmer am Ende des Korridors.
    Es war ein großes, niedriges Zimmer mit kleinen Fenstern. Die Läden waren geschlossen und hatten herzförmige Ausschnitte. Durch sie hatten wir das Licht der Petroleumlampe gesehen, die an der Decke hing. Der gebohnerte Holzboden war mit Wollteppichen bedeckt. An einem Ende des Raumes stand ein Büfett mit Steingutgeschirr, in der Mitte ein Eßtisch und drei hochlehnige Eichenstühle. Zu beiden Seiten des ziegelgemauerten Kamins standen gepolsterte Korblehnstühle. Eine Menge Bücher waren achtlos in einer Ecke an der Wand aufgestapelt, und ein Buch lag aufgeschlagen, den Einband nach oben, auf einem der Lehnstühle. Es war eine italienische Übersetzung von La Fontaines Fables . An den Wänden hingen wieder Zeichnungen.
    Ich wollte das Buch nicht wegnehmen, um mich zu setzen, und so standen wir vor dem Feuer und wärmten uns in der Hitze, die aus der glühenden Holzkohle aufstieg. Zwei halbverbrannte Tannenscheite zischten und warfen an der Oberseite Blasen auf. Meine Socken begannen zu dampfen.
    Die Frau kam mit zusammengefalteten Decken unter dem Arm ins Zimmer. Sie zögerte einen Augenblick, dann ging sie zum Lehnstuhl, nahm das Buch und warf es auf den Tisch.
    »Ich schlage vor, Sie ziehen Ihre Pullover aus«, sagte sie, »und hängen sie zum Trocknen an den Kamin. Sie können sich in diese Decken einwickeln.« Sie schwieg einen Augenblick. Dann fragte sie: »Haben Sie Hunger? Möchten Sie einen Teller Suppe?«
    Ich blickte auf Zaleshoff. Er lächelte ihr zu.
    »Dies alles ist so gut von Ihnen, Signorina. Sie machen sich zu viel Mühe. Wir sind Ihnen sehr dankbar.«
    Ich murmelte Zustimmung.
    Ein leises Lächeln zeigte sich in ihren Mundwinkeln.
    »Ich verstehe. Sie möchten also etwas Suppe.«
    »Ich wüßte nicht, was ich im Moment lieber möchte, Signorina.«
    Sie ging aus dem Zimmer. Alle ihre Bewegungen hatten etwas seltsam Bestimmtes. Zaleshoff kleidete das, was ich dachte, in Worte.
    »Diese Frau«, sagte er gedankenverloren, »kennt den Zweifel nicht. Für sie ist alles klar. Ich möchte wissen …« Er brach ab.
    Aber ich fragte ihn nicht, was er wissen wollte. Ich war damit beschäftigt, meine nassen Sachen abzustreifen. Bald saßen wir in Decken gehüllt in den beiden Lehnstühlen. Zaleshoff wickelte sich wohlig ein.
    »Perfetto!« rief er aus.
    »Das höre ich gern, Signori.«
    Wir sprangen auf. Die Worte kamen von einem Mann, der hinter uns in der Tür stand. Wir hatten ihn nicht kommen hören. Es war offenbar ihr Vater.
    Er war gut über sechzig, groß, schlank und aufrecht, mit etwas gerundeten Schultern. Sein Kopf war lang und schmal, und der Schädel war kahl, bis auf ein Büschel weißer Haare über der Stirn. Dadurch sah er aus wie ein phantastischer tropischer Vogel. Seine Nase war auch schnabelähnlich, und er hatte sehr kleine glänzende Augen. Aber sie waren blau, und nur in dem schmalen, etwas melancholischen Mund lag Ähnlichkeit mit der Tochter. Er trug einen dicken Schlafrock und einen Schal. Er lächelte leicht.
    »Es tut uns leid, daß wir Ihre Nachtruhe gestört haben, Signore«, entschuldigte sich Zaleshoff.
    Der Mann kam ins Zimmer und gab uns die Hand.
    »Durchaus nicht, Signori. Das hier«, und damit berührte er seinen Schlafrock, »ist meine Arbeitskleidung. Ich habe gearbeitet, als Sie kamen.«
    »Dann haben wir Sie bei der Arbeit gestört.«
    »Nicht im geringsten. Ich war unhöflich genug, mein heutiges Pensum zu erledigen, ehe ich herunterkam, um Sie zu begrüßen.« Seine hellen Augen musterten uns. »Hoffentlich hat meine Tochter gut für Sie gesorgt. Bitte setzen Sie sich doch. Sie müssen müde sein.«
    »Sie sind sehr gastfreundlich, Signore.«
    Er zog einen der hochlehnigen Stühle heran und setzte sich zwischen uns, dem Feuer gegenüber.
    »Es ist ein Vergnügen für meine Tochter und mich. Wir sehen hier sehr wenig Menschen. Die Lieferanten aus Fusine sind die einzigen, die im Winter heraufkommen. Im Sommer sind die Villen weiter oben bewohnt, und wir sehen dann etwas von

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