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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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gefährlich. Bei jedem schwierigen Schritt spürte ich, wie meine Kräfte nachließen. Die Kälte und die Höhe wurden allmählich zu viel für mich. Mein Herz hämmerte wild. Aber ich stolperte hinter Zaleshoff her. Ich hatte Angst, zurückgelassen zu werden.
    Das Licht war verschwunden. Ein Gefühl unendlicher Müdigkeit überkam mich. Jetzt machte es nichts mehr, wenn Zaleshoff mich zurückließ. Mir schwindelte. Ich hörte, wie ich ihm zurief, stehenzubleiben. Dann brachen meine Füße plötzlich durch den Schnee auf festen ebenen Grund. Das Licht war wieder da, viel näher. Man konnte den Umriß eines Fensters erkennen.
    Zaleshoffs Hand lag auf meiner Schulter. Ich hörte ihn sagen, ich solle stehenbleiben. Dann sah ich ihn in die Finsternis hinter dem Schnee verschwinden. Meine Ohren summten, und ich konnte nichts hören, aber eine Minute später sah ich ein rechteckiges Licht vor mir auftauchen. Es wuchs bis ich es als beleuchteten Hauseingang erkannte. In der Tür stand eine Frau mit einer Petroleumlampe in der Hand. Mein Kopf wurde plötzlich klar, und ich hörte, wie Zaleshoffs knirschende Schritte sich näherten.
    Er ergriff meinen Arm. »Geht’s wieder besser?«
    »Es geht.«
    »Gut. Wir gehen hinein.«
    »Aber …«
    »Ich glaube, es ist alles in Ordnung. Sie haben hier oben die letzten zwei Tage wahrscheinlich keine Zeitungen gehabt. Wir sind ganz nahe am Weg, aber sie möchte, daß wir hineinkommen und uns ausruhen. Ich sagte, wir wären zwei Touristen, und wir hätten uns verirrt. Das stimmt ja auch, mehr oder weniger. Kommen Sie.«
    Ich nickte. Ein paar Augenblicke später fühlte ich einen Holzfußboden unter meinen Sohlen und sah das Flackern eines Holzfeuers im Zimmer nebenan.

17. Kapitel
    Reductio ad absurdum
    I
    ch hatte die Frau von draußen nicht sehr deutlich gesehen, und das Haus war nicht viel mehr als eine verschwommene schwarze Masse gewesen. Ich hatte angenommen, es sei die Hütte eines Holzfällers, und dies sei seine Frau. Aber als ich drinnen war, merkte ich, daß ich mich getäuscht hatte.
    Wir standen in einem breiten Korridor, von dem Türen abgingen. Die Wände waren roh verputzt und weiß getüncht. An ihnen hingen geschmackvoll angeordnet in Holzrahmen mit breiten weißen Passepartouts einige Bleistiftzeichnungen. Es waren durchweg Porträts, alle vom selben Maler.
    Die Frau war wahrscheinlich etwas über dreißig. In der Hand hielt sie eine große Petroleumtischlampe aus Opalglas, und das Licht, das davon ausging, gab ihrem Gesicht ein seltsames Aussehen. Ihre Züge waren plump und unregelmäßig, aber die Haut war blaß und sehr zart, und die dunklen Augen drückten Intelligenz aus. Ihr Haar war auf altmodische Weise von der Stirn zurückgekämmt. Sie trug einen dicken Rock und eine gelblichweiße, hochgeschlossene Seidenbluse. Um ihre Schultern hatte sie einen Wollschal geworfen.
    Sie schloß und verriegelte hinter uns die Tür und wandte sich dann um. Ich wurde mir bewußt, daß ich sie unhöflich anstarrte, und ich senkte den Blick auf meine eigenen Kleider.
    »Wenn Sie hier Ihre Stiefel und Ihre Rucksäcke ablegen wollen«, sagte sie, »so werde ich inzwischen meinen Vater rufen. Er wird Pantoffeln für Sie haben.« Sie sprach ein weiches, tonloses Italienisch.
    Ich wollte ihr danken.
    »Nicht der Rede wert, Signore«, sagte sie schnell.
    Sie stellte die Lampe auf einen kleinen Tisch und öffnete eine der Türen. Ich bemerkte, daß von ihr eine schmale Stiege nach oben ging. Sie stieg langsam hinauf. Ich blickte auf Zaleshoff. Er lächelte.
    »Diesmal haben wir Glück gehabt«, murmelte er. »Sie wollte nichts davon hören, daß wir weitergehen. Sie sagte, wir würden uns wieder verlieren.« Er blickte mich scharf an. »Sie sehen aus, als könnten Sie noch einen Schluck Rum vertragen. Hier, helfen Sie mir den Rucksack abnehmen, und setzen Sie sich. Ich werde Ihnen die Stiefel ausziehen. Wir wollen nicht das Zimmer überschwemmen.«
    Ich blickte hinab und sah, daß der schmelzende Schnee kleine Rinnsale längs der Fußbodenritzen bildete. Mein Gesicht und meine Hände brannten. Ich nestelte an den Riemen von Zaleshoffs Rucksack und fiel dann mehr als ich mich setzte auf einen Stuhl bei der Türe. Zaleshoff drückte mir die Flasche in die Hand.
    »Trinken Sie etwas. Die plötzliche Wärme tut Ihnen nicht gut. Trinken Sie – Sie brauchen keine Angst zu haben.«
    Als er die Gamaschen aufmachte, wurde mein Kopf langsam wieder klar. Ich zog meine Stiefel selbst aus, während

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