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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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Triebwagenzug nach Vicenza. Gegen halb elf Uhr kamen wir dort an. Von Vicenza fuhren wir mit dem Autobus ein Stück zurück nach Tavernelle, wo wir einen Zug nach Treviso nahmen. Wir wiederholten dieses Spiel in Castelfranco und später in Casarsa. Um halb zehn Uhr abends kamen wir in Udine an.
    Es war ein aufreibender Tag gewesen. Die meisten Bahnhöfe waren bewacht gewesen, und wir reisten in beständiger Angst vor Paßkontrollen. Von Zeit zu Zeit dösten wir ein wenig. Der Sprühregen verzog sich während des Morgens, und es wurde heiter und sehr warm. Wenn wir aus einer Station ausfuhren, sanken unsere Köpfe schon nach vorn, und dann schliefen wir auf ein paar Minuten, bis uns der Zug vor einem Signal oder über einer Weiche wieder aus dem Schlaf riß. Meine Augen brannten vor Müdigkeit und die Brille mit den dicken Gläsern, die Zaleshoff für mich auf einem Marktplatz gekauft hatte, vergrößerte diese Misere, weil sie mich zum Blinden machte, sobald ich durchschaute. Um mein Ungemach vollzumachen, bekam ich eine Gallenkolik. Zaleshoff aß einsam seinen Lunch aus einem Papiersäckchen. Das einzig Gute war, daß wir meistens ein Abteil für uns hatten.
    In Udine ließen wir unsere Taschen in der Gepäckaufbewahrung.
    »Bringen Sie schon etwas runter?« fragte Zaleshoff, als wir vorsichtig aus dem Bahnhof gingen.
    »Ich könnte es mit einer Omelette versuchen.«
    »Dann wollen wir ein gutes Lokal suchen. Wir brauchen nicht zu eilen, wir haben Zeit zur Genüge.«
    Ich stöhnte. »Gibt’s denn kein kleines, schäbiges Hotel, wo wir die Nacht verbringen könnten, ohne nach Pässen gefragt zu werden? Wir haben freilich hin und wieder etwas geschlafen, aber ich brauche ein Bett. Ich habe ein Gefühl, als hätt ich ein Loch im Rücken.«
    »Ich auch. Aber je schäbiger das Hotel, desto genauer nehmen sie’s mit den Pässen. Wenn Sie eins kennen, können wir’s ja versuchen. Sonst …« Er zuckte die Schultern. »Wir haben übrigens eine Menge Geld ausgegeben. Wir müssen warten, bis morgen früh die Banken aufmachen, sonst sind wir blank.«
    »Wenn nun die Polizei …«
    »Sie wird nicht. Ich habe ein Konto auf einen andern Namen bei der römischen Filiale der Industriebank. Tamara hat unter diesem Namen nach Rom geschrieben, und die Leute gebeten, die Auszahlung hier zu veranlassen.«
    »Das klingt ja so, als hätte sie eine Unterschrift fälschen müssen.«
    »Sie sind sehr scharfsinnig. Genau das hat sie gemacht.«
    Wir fanden ein Restaurant und blieben dort, bis es gegen Mitternacht zusperrte. Die nächsten zwei Stunden verbrachten wir in einem caffè . Dann gingen wir spazieren. Gegen drei Uhr kehrten wir zum Bahnhof zurück und stellten fest, daß um drei Viertel sechs der Zug Wien-Rom durchkam. Unter dem Vorwand, auf diesen Zug zu warten, verbrachten wir die Stunden bis zum Morgengrauen in einer Weinstube in der Nähe. Wir spielten Karten – scopa hieß das Spiel – mit dem Wirt und zwei von den Eisenbahnern, für die das Restaurant die ganze Nacht offen gehalten wurde. Um fünf bestellten wir Spaghetti, aßen sie und gingen bald darauf fort, wobei wir betonten, daß wir den Zug nach Rom nehmen wollten. Tatsächlich gingen wir wieder spazieren. Zweimal mußten wir schnell in Seitengassen verschwinden, um Polizeistreifen auszuweichen, aber etwas vor sieben Uhr fanden wir ein offenes caffè.
    Mittlerweile war uns der Anblick und der Geruch von Kaffee unerträglich geworden, und wir entledigten uns des Kaffees, den wir bestellen mußten, indem wir ihn auf die Wurzeln der Ligustersträucher gossen, die in grünen Holzkübeln auf dem Gehsteig vor den Tischen standen. Ich fühlte mich krank und elend. Zaleshoff sah wie ein Gespenst aus. Wir saßen eine Stunde dort, und ich fragte mich, wie wir die Zeit totschlagen sollten, bis die Banken aufmachten, als ich sah, wie sich Zaleshoffs Gesicht erhellte.
    »Jetzt hab ich’s.«
    Ich brummte: »Was?«
    »Ein türkisches Bad.«
    Meine Laune besserte sich. »Gibt’s denn eins?«
    »Eher als ein gewöhnliches Bad in einer Stadt von dieser Größe …« Er unterbrach sich und rief den Kellner.
    Es gab ein türkisches Bad. Es öffnete um halb acht, und wir verbrachten die nächsten vier Stunden dort. Wir hatten dem Bademeister aufgetragen, uns um halb zwölf zu wecken. Wir schliefen fest: ich glaube, wir hätten beide vierundzwanzig Stunden schlafen können. Wir waren noch immer müde, als wir geweckt wurden. Aber wir fühlten uns doch unendlich viel besser, und eine

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