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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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mit sich selbst, die Tränen waren Krokodilstränen. Und das Geschwafel von Gefühlen und Überzeugungen. Ich zerknüllte das Blatt und warf es in den Papierkorb. Aber nach einigen planlosen Versuchen, etwas Besseres zu schreiben, fischte ich es wieder heraus und schrieb es ab. Irgendwie mußte ich ja anfangen. Ich fuhr also fort.

    Du wirst Dich wahrscheinlich fragen, warum um alle Welt ich mich denn hier aufhalte und ob ich hier bleiben werde. Das ist eine lange Geschichte.

    Die Geschichte war gar nicht lang. Sie war im Gegenteil ziemlich kurz. Aber solchen Quatsch schreibt man halt in Briefen …

    Ich kam gestern nachmittag gegen vier Uhr an (bei Dir in England, Liebste, war es erst drei) und wurde an der Stazione Centrale von Bellinetti erwartet, der, wie Du Dich vielleicht erinnerst, der Assistent meines Vorgängers war.
    Er ist etwas älter, als ich ihn mir nach der Beschreibung von Pelcher und Fitch vorgestellt hatte. Stell Dir einen kleinen, untersetzten Italiener von etwa vierzig Jahren vor, mit gewelltem schwarzem Haar, an den Schläfen leicht ergraut und mit Zähnen, wie man sie auf Zahnpasta-Reklamen sieht. Er ist sehr sorgfältig gekleidet und trägt einen Brillant(?)ring am kleinen Finger der linken Hand. Ich habe den Verdacht, daß er sich nicht täglich rasiert. Schade. Er ist ein begeisterter Leser des Popolo d’ Italia und schwärmt für Myrna Loy (»so sanft, so cool, so voll versteckter Leidenschaft«). Ob er verheiratet ist, habe ich noch nicht herausgefunden.

    Ich schaute mir diese Beschreibung Bellinettis einen Augenblick an. Sie war nicht ganz zutreffend. Zwar war sie präzise in dem, was sie aussagte, aber der Mann war damit nicht ausreichend beschrieben. Er war nicht so theatralisch. Er hatte eine Art, sich einem zuzuneigen und gleichzeitig die Stimme zu senken, als ob er einem etwas höchst Vertrauliches mitteile. Aber dann kam gar nichts. Man hatte den Eindruck, als hätte er am liebsten die ganze Zeit von bedeutenden, äußerst geheimen Dingen gesprochen, werde aber ständig von der Trivialität des wirklichen Lebens gejagt. Dieser Eindruck von Frustration irritierte einen anfänglich, doch man gewöhnte sich daran. Aber all das konnte ich im Brief nicht unterbringen. Ich zündete mir eine Zigarette an und fuhr fort.

    Wie ich Dir schon sagte, erwartete ich keine große Unterstützung von Arturo Bellinetti. Schließlich mußte er ja annehmen, daß Fernings Tod für ihn Fernings Stelle bedeute. Fitch hatte mir erzählt, daß Pelcher, in einem schwachen Augenblick und um den Mann zu ermutigen, angedeutet hatte, er würde den Posten vielleicht bekommen. Man konnte also kaum erwarten, daß er diesem Sporco Inglese begeistert um den Hals fallen würde. Aber ich muß sagen, daß er mir bisher trotzdem sehr behilflich gewesen ist.
    Nachdem wir das Begrüßungszeremoniell hinter uns gebracht hatten, gingen wir in ein caffè (zwei f und einen Akzent, bitte), wo er mich mit seinem Lieblingsgetränk bekannt machte: Cognac, den er mit einem Bier runterkippt. Mit einem englischen Bitter möchte ich das nicht versuchen, aber hier schmeckte es gar nicht so schlecht. Auf jeden Fall brachte es mich nach diesem endlosen Tag wieder hoch. Dann überlegten wir, wo ich wohnen sollte. Bellinetti schlug vor, ich sollte Fernings Wohnung übernehmen, in einem Appartementhaus in der Nähe des Monte di Pietà. Das schien mir eine gute Idee. Wir verstauten mein Gepäck in einem Taxi und fuhren dorthin.
    Nimm das Ritz und das Carlton und den Buckingham-Palast, mach ein Gebäude draus, gib etwas Rokoko und eine Spur Lalique dazu, und Du hast so ungefähr eine Vorstellung, was ich vorfand. Das Gebäude war nicht sehr groß, aber wirklich luxuriös. Mit dem Manager fuhren wir zum zweiten Stock hinauf. Das sei Signor Fernings Appartement, erklärte der Manager. Er sei ein großzügiger und sympathischer Herr gewesen, dieser Signor Ferning, und sein Tod eine wahre Tragödie. Doch würde er seine Dienste gern dem sympathischen Signor Marlow zur Verfügung stellen. Der Preis des Appartements sei nur 600 Lire pro Woche.
    Nun, Liebling, wahrscheinlich war es das Geld wert. Vielleicht war es sogar billig. Aber 600 Lire die Woche! Entweder wollte der Manager mich hineinlegen (hierzulande herrscht immer noch der Aberglaube, alle Amerikaner und Engländer seien Millionäre) oder der so sympathische Signor Ferning hatte einen sehr viel besseren Kontrakt mit Spartacus als ich. Der Manager war verblüfft, als ich kurzerhand

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