Anlass
wenig, daß ich drauf und dran war umzukehren, ohne den Direktor gesehen zu haben oder mich um meine Reisespesen zu kümmern. Aber jetzt war es dazu zu spät, denn ich wurde in Mr. Alfreds Arbeitszimmer geführt.
Es war groß und sehr unordentlich. Stapel über Stapel von staubigen Korrespondenzbündeln und abgerissenen Blaupausen bildeten eine Art Wandbekleidung rings um die verschossenen grünlichen Wände; deren oberer Teil war geschmückt mit zahllosen gerahmten Katalogillustrationen von Maschinen und zwei vergilbten Urkunden über Verleihung von Goldmedaillen auf kontinentalen Fachausstellungen. Ein Kohlenfeuer gloste unter einer Kaminverkleidung, die unter einem Haufen von technischen Nachschlagewerken, einem Gotha-Almanach, einem bronzenen Krischna auf Teakholzsockel und einem halb verdeckten Exemplar von ›Umgangsformen für den Herrn ‹ fast zusammenbrach. In einer Ecke lehnte eine Tasche mit Golfschlägern. Mitten im Zimmer, hinter einem enormen Tisch, der mit etikettierten Maschinenbestandteilen, Korrespondenzkästen, hölzernen Golf-Tees, technischen Fachblättern und unzähligen Büroklammern übersät war, saß Mr. Alfred Pelcher selbst.
Er war ein kleiner, kahlköpfiger, fröhlicher Mensch von etwa fünfzig Jahren mit einer randlosen, bifokalen Brille und mildem, beruhigendem Wesen, als ob er annähme, man sei in sehr schlechter Laune und er müsse einen aufmuntern. Sein Anzug, offensichtlich ein Kompromiß zwischen Vormittagen im Büro und Nachmittagen beim Golf, bestand aus einem schwarzen Rock, einer braunen Strickweste und grauen Flanellhosen. Er hatte die Gewohnheit, verzweifelt an seinem Kragen zu zerren, als ob er ihm die Kehle zuschnürte.
Als ich eintrat, hantierte er mit einem Rechenschieber und übertrug die Resultate seiner Berechnungen auf den Rand der technischen Beilage der Times . Ohne aufzublicken, bedeutete er mir mit dem Rechenschieber, daß er beinahe fertig sei. Einen Augenblick später ließ er ihn sinken, sprang auf und schüttelte mir herzlich die Hand.
»Wie nett von Ihnen, den langen Weg zu uns zu machen.« Er drängte mich in einen Sessel. »Bitte setzen Sie sich. Nun, wie ist das doch. Sie sind Mr. Marlow, nicht wahr?« Und mit einer bescheidenen Handbewegung gegen seine mathematischen Randbemerkungen: »Nur ein kleines Problem der Mechanik, Mr. Marlow. Ich habe versucht, ungefähr zu berechnen, wieviel Kilogrammeter Energie man bei einer durchschnittlichen Runde von achtzehn Löchern spart, wenn man einen Caddy zum Tragen der Golfschläger nimmt. Es ist eine kolossale Zahl.« Er kicherte. »Spielen Sie Golf, Mr. Marlow?«
»Leider nein.«
»Ein fabelhaftes Spiel. Es geht nichts über Golf.« Er strahlte über das ganze Gesicht. »Nun also. Zum Geschäft. Wir haben Ihnen geschrieben, nicht wahr? Ja, natürlich.« Er sank in seinen Stuhl zurück und starrte mich volle dreißig Sekunden durch die untere Brillenhälfte an. Dann beugte er sich über den Tisch vor. »Se non è in grado« , sagte er bedächtig, »di accettare questa mia proposta, me lo dica francamente. Non me l’avrà a male.«
Ich war einigermaßen überrascht, aber ich antwortete sofort: »Prima prendere una decisione vorrei sapere sua proposta, Signore.«
Er zog seine Augenbrauen hoch. Entzückt schnippte er mit den Fingern, nahm den Rechenschieber und hieb damit auf den Tisch. Dann lehnte er sich wieder zurück.
»Mr. Marlow«, sagte er feierlich, »Sie sind der erste, der unsere Annonce nicht nur beantwortet, sondern sie auch wirklich aufmerksam gelesen hat. Vor Ihnen habe ich mit sechs Herren gesprochen. Drei sprachen etwas Touristenfranzösisch und versicherten mir, daß das die meisten Italiener verstehen würden. Einer war in Ceylon gewesen und hatte eine Ahnung von Tamil. Er bemerkte nebenbei, daß man nur laut genug auf englisch zu schreien brauche, dann verstehe jeder, was man sagen wolle. Von den andern sprach der eine fließend Deutsch, und der andere war auf einer Kreuzfahrt einen Tag in Neapel gewesen. Sie sind der erste, der wirklich italienisch sprechen kann.« Er machte eine Pause. Dann kam ein Ausdruck großer Beunruhigung in sein Gesicht, wie bei einem Kind, das etwas Schlimmes erwartet. »Sie sind doch hoffentlich Ingenieur, Mr. Marlow?« Er zerrte unruhig an seinem Kragen. »Sie sind nicht etwa Elektriker oder Chemiker oder Radiotechniker?«
Ich gab eine kurze Übersicht über meine Ausbildung und wollte ihn eben wegen weiterer Einzelheiten auf meinen Brief verweisen, als ich
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