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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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kommt?«
    »Sicher wird einer kommen. Es ist die Hauptlinie für den Güterverkehr von Turin. Wir müssen uns nur verstecken, bis es dunkel ist, das ist alles. Und was die Müdigkeit anbelangt, so werden Sie sehen, daß sie bei einem kurzen Wettlauf vergeht.«
    »Wettlauf!« Ich traute meinen Ohren kaum.
    »Ja. Wettlauf. Kommen Sie, ziehen Sie die Stiefel an und brechen wir auf. Das ist eine ungesunde Gegend hier.«
    Ich hatte keine Energie mehr für weitere Debatten. Ich zog meine Schuhe aus, zog die dicken wollenen Socken über meine eigenen und darüber die Stiefel. Sie waren sehr steif und man glaubte, in Taucherstiefeln zu stecken. Meinen Hut, meine Schuhe und die Flasche samt dem Packpapier vergruben wir unter Blättern.
    Dann gingen wir durch das Wäldchen zu den Feldern auf der andern Seite der Straße. Hier zog Zaleshoff einen kleinen Spielzeugkompaß hervor, den er im Dorf gekauft hatte. Nach einigen Schwierigkeiten mit der Kompaßnadel, die in jeder Richtung Norden anzeigte, bis wir herausfanden, daß sie am Glas klebte, nahmen wir uns eine Baumgruppe zum Ziel, die auf einem Hügel in ungefähr einem Kilometer Entfernung stand, und marschierten los.
    Ein, zwei Minuten gingen wir. Dann fing Zaleshoff plötzlich an, schnell zu laufen.
    »Wollen wir bis zum Ende des Weges um die Wette laufen«, rief er über die Schulter zurück.
    Wenn ich etwas hasse, so sind es Leute, die mich bis ans Ende irgendeines Weges rennen heißen, und so rief ich ihm meine entschiedene Weigerung nach, aber er schien mich nicht zu hören. Ich setzte mich also, von Mordabsichten beseelt, in Trab und stolperte hinter ihm her. Schließlich verfielen wir, laut schnaubend, wieder in Schritt.
    »Fühlen Sie sich besser?«
    Ich mußte zugeben, daß dies der Fall war. Die Morgenbrise hatte den Rest des Gewölks weggefegt. In der Ferne sah man einen leichten Dunst, der Hitze ankündigte. Irgendwo in der Nähe hörten wir einen Traktor, aber wir sahen nichts, außer ein paar Kühen. Eine Zeitlang gingen wir schnell weiter. Als dann die Sonne heißer wurde, fühlte ich, wie meine Erschöpfung wiederkam.
    »Wie wär’s mit einer Ruhepause?« fragte ich nach einer Weile.
    Er schüttelte den Kopf. »Es ist besser, wir gehen weiter. Möchten Sie etwas Cognac?«
    »Nein, danke.«
    Wir stapften weiter. Es war offenes Ackerland mit wenig Bäumen und ohne Schatten. Schwärme von Fliegen, die durch die Hitze aufgescheucht waren, begannen uns zu belästigen. Um Mittag hatte ich fürchterlichen Durst und arges Kopfweh. Den größten Teil der Zeit waren wir meilenweit von jedem Haus entfernt. Nach Zaleshoff sollten wir in der Nähe einer Nebenstraße von Ost nach West sein, aber man sah keine Spur von ihr. Die neuen Stiefel hingen wie Bleigewichte an meinen Füßen. Meine Beine begannen zu zittern. Die Sache wurde dadurch nicht besser, daß wir zwanzig Minuten in einem Graben kauern mußten, weil ein Landarbeiter sich an der Seite eines Feldweges, den wir zu überqueren hatten, niederließ, um sein Mittagessen zu verzehren. Als wir endlich weitergehen konnten, waren meine Füße und Gelenke dick angeschwollen. Unser Tempo wurde langsamer. Ich humpelte hinter Zaleshoff her.
    Er wartete, bis ich ihn eingeholt hatte.
    »Wenn ich nicht bald einen Schluck Wasser bekomme, falle ich um«, erklärte ich. »Und diese verdammten Fliegen …«
    Er nickte. »Mir geht’s ebenso. Aber jetzt müssen wir bald bei der Straße sein. Können Sie noch ein bißchen durchhalten?«
    »Vermutlich.«
    Aber es war zwei Uhr, als wir die Straße wirklich erreichten. Für mich war sie eine Oase in der Wüste und kein staubiger Kiesstreifen. Zaleshoff stieß einen heiseren Laut der Befriedigung aus.
    »Ich wußte, daß wir nicht weit weg waren. Nun legen Sie sich dort in das Gebüsch, während ich nachsehe, ob ich etwas zu trinken finde. Bewegen Sie sich nicht von der Stelle.«
    Die Ermahnung war unnötig. Nichts als die bare Notwendigkeit hätte mich dazu veranlaßt, mich überhaupt noch zu bewegen. Durch das Hämmern des Blutes in meinem Kopf hörte ich, wie Zaleshoffs Schritte sich langsam in der Ferne verloren.
    Wenn ich heute an jene Tage mit Zaleshoff zurückdenke, wundert mich eins am meisten – mein unbedingter Glauben an sein größeres Durchstehvermögen. Immer war es Zaleshoff, der mich dazu überredete, noch eine Anstrengung zu machen, wenn keine mehr möglich schien. Immer war es Zaleshoff, der, wenn wir beide am Ende unserer Kraft waren, noch einen Kilometer

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