Anleitung zum Alleinsein
wäre stummes Leiden wohl der sicherste Weg. Wie sehr einen ungute Gefühle auch plagen, ist es doch das Beste, Zuversicht auszustrahlen und zu hoffen, dass sie ansteckend ist. Wenn ein Schriftsteller öffentlich erklärt, der Roman sei dem Untergang geweiht, kann man Gift darauf nehmen, dass sein neues Buch nicht gut läuft; für seinen Ruf ist das, als würde er blutend in haiverseuchtem Gewässer schwimmen.
Noch schwerer fällt es zuzugeben, wie depressiv ich war. In dem Maß, wie das soziale Stigma der Depression abnimmt, nimmt das ästhetische Stigma zu. Es ist ja nicht nur so, dass die Depression bis zur Banalität hin modern geworden ist. Es ist das Gefühl, dass wir in einer vereinfachend binären Kultur leben:Entweder man ist gesund, oder man ist krank, entweder man funktioniert, oder man funktioniert nicht. Und wenn einem gerade diese Planierung des Möglichkeitenfeldes Depressionen bereitet, neigt man dazu, sich der Teilnahme an dieser Planierung zu verweigern, indem man sich selbst als depressiv bezeichnet. Man beschließt zu denken, dass die Welt krank ist und dass die widerständige Weigerung, in einer solchen Welt zu funktionieren, von Gesundheit zeugt. Man ergibt sich einem, wie der Kliniker sagt, «depressiven Realismus». Davon singt auch der Chor in
König Ödipus
: «Ihr Menschengeschlechter, ach!/Euch, die leben im Lichte, wie/Zähl ich ähnlich dem Nichts euch!/Denn welcher der Sterblichen/Nimmt ein größeres Glück dahin,/Als soviel ihm der Wahn verleiht,/bis er vom Wahn hinabsinkt?» Schließlich ist man nur Protoplasma, und eines Tages ist man tot. Die Aufforderung, die Depression zu überwinden, sei es durch Medikamente oder Therapie oder Willensanstrengung, hat etwas von der Aufforderung, allen düsteren Einsichten in Korruptheit und Infantilismus und Selbsttäuschung der schönen neuen McWelt den Rücken zu kehren. Dabei sind diese Einsichten das einzige Vermächtnis eines Autors von Gesellschaftsromanen, der die Welt nicht lediglich in ihren Details, sondern in ihrem Wesen darstellen möchte, der das moralisch blinde Auge des virtuellen Wirbelsturms beleuchten will und glaubt, der Mensch verdiene etwas Besseres als eine Zukunft äußerst preiswert elektronischer Kuppeleien, die schon heute für ihn ausgeheckt werden. Statt zu sagen:
Ich habe Depressionen
, will man sagen:
Ich habe recht!
Aber alle erkennbaren Anzeichen deuten darauf hin, dass man ein Mensch geworden ist, mit dem ein anderer unmöglich zusammenleben kann und nur ungern redet. Und da man als Schriftsteller zunehmend das Gefühl hat, man sei einer der letzten verbliebenen Bastionen sowohl des depressiven Realismus als auch der Fundamentalkritik an der Therapiegesellschaft, die diesen depressiven Realismus widerspiegelt, wird die Bürde, dieder eigenen Kunst auferlegt wird, doch aber bitte Neuigkeiten zu überbringen, erdrückend. Man fragt sich: Wozu überhaupt der Aufwand, diese Bücher zu schreiben? Ich kann doch nicht so tun, als hörte der Mainstream auf das, was ich zu überbringen habe. Ich kann doch nicht so tun, als unterwanderte ich etwas, schließlich hat jeder Leser, der in der Lage ist, meine subversiven Botschaften zu entziffern, sie gar nicht mehr nötig (und die aktuelle Kunstszene erinnert einen ständig daran, wie albern die Sache wird, wenn Künstler anfangen, offene Türen einzurennen). Jede wie auch immer geartete Vorstellung, anspruchsvolle Literatur sei
gut für uns
, liegt mir völlig quer, weil ich nicht glaube, dass es gegen alles, was schlecht ist an der Welt, ein Heilmittel gibt, und selbst wenn ich es glaubte, wie käme ich, der ich mich doch als der Kranke fühle, dazu, es zu verabreichen? Auf jeden Fall ist es schwierig, in Literatur Medizin zu sehen, wenn Lesen vor allem dazu beiträgt, die deprimierende Entfremdung vom Mainstream noch zu verstärken; früher oder später wird der Therapien zugängliche Leser das Lesen für die eigentliche Krankheit halten. Sophie Bentwood beispielsweise steht die Prozac-Kandidatin ins Gesicht geschrieben. Egal, wie erhaben oder komisch ihre Qualen sind, egal, wie zutiefst menschlich sie im Lichte dieser Qualen wirkt – ein Leser, der sie mag, wird sich bestimmt die Frage stellen, ob ein Besuch beim Therapeuten für sie nicht vielleicht das Beste wäre.
Letztlich wehre ich mich auch deshalb gegen die Vorstellung von Literatur als Ausdruck einer edlen höheren Berufung, weil sich das Elitedenken nicht gut mit meinem amerikanischen Naturell
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