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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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verträgt und weil, selbst wenn mein Glaube an Mysterien mich nicht veranlassen würde, Überlegenheitsgefühlen zu misstrauen, mein Glaube an Gewohnheiten es mir schwerfallen ließe, meinem Bruder, der Michael Crichton gut findet, zu erklären, dass das, was ich mache, schlicht
besser
ist als das von Crichton. Nicht einmal die französischen Poststrukturalisten mit ihrerphilosophisch unangreifbaren Feier der «Lust am Text» können mir da heraushelfen, weil ich weiß, dass das, was mir – egal wie metaphorisch reich und sprachlich raffiniert
Was am Ende bleibt
auch ist – bei meiner ersten Lektüre vor allem auffiel, nicht die aufreizend freudvolle Kette endloser Assoziationen war, sondern das an dem Roman Kohärente und geradezu mörderisch Zwingende. Ich weiß, es gibt einen Grund dafür, dass ich gern las und auch gern schrieb. Aber jede Entschuldigung und gar Verteidigung scheint sich im Zuckerwasser der zeitgenössischen Kultur aufzulösen, und binnen kurzem wird es einem dann auch noch schwerfallen, morgens aufzustehen.
     
    Zwei schnelle Verallgemeinerungen über Schriftsteller: Wir fragen lieber nicht zu sehr nach, wenn es um unser Lesepublikum geht, und wir mögen die Sozialwissenschaften nicht. Irgendwie unangenehm also, dass der Leuchtturm in der Düsternis – die Person, die unwissentlich am meisten dazu beigetragen hat, dass ich als Schriftsteller wieder vorangekommen bin – ausgerechnet eine Sozialwissenschaftlerin war, die das Lesepublikum anspruchsvoller Literatur in Amerika erforschte.
    Shirley Brice Heath ist MacArthur-Fellow, Ethnolinguistin und Professorin für Englisch und Linguistik in Stanford; sie ist eine elegante, twiggyhafte, weißhaarige Dame ohne erkennbare Smalltalk-Toleranz. Die gesamten achtziger Jahre hindurch suchte sie Orte auf, die sie «erzwungene Übergangszonen» nannte – Orte, an denen Menschen ohne Zugriff aufs Fernsehen und andere Wohlbefinden erzeugende Beschäftigungen zeitweilig festgehalten sind. Sie benutzte öffentliche Nahverkehrsmittel in siebenundzwanzig verschiedenen Städten. Sie schlich auf Flughäfen herum (zumindest bevor es dort CNN gab). Sie ging mit ihrem Notizblock in Buchhandlungen und Seebäder. Jedes Mal,wenn sie Leute «substantielle Werke der Literatur» . (also mehr oder weniger die bessere Taschenbuchbelletristik) lesen oder kaufen sah, bat sie sie um einige Minuten ihrer Zeit. Sie besuchte Sommer-Schriftstellertreffen und Creative-Writing-Seminare, um Epheben zu befragen. Sie interviewte Schriftsteller. Vor drei Jahren interviewte sie mich, und vergangenen Sommer aß ich mit ihr in Palo Alto zu Mittag.
    Soweit Schriftsteller überhaupt über ihr Publikum nachdenken, stellen wir uns gern ein «allgemeines Publikum» vor – eine große, eklektische Gemeinschaft einigermaßen gebildeter Menschen, die durch hinreichend positive Rezensionen oder hinreichend aggressives Marketing dazu bewogen werden können, sich ein gutes, anspruchsvolles Buch zu gönnen. Wir geben uns richtig Mühe zu ignorieren, dass unter Erwachsenen mit einer ähnlichen Bildung und ähnlich komplizierten Lebensläufen manche viele Romane lesen, andere dagegen wenige oder gar keine.
    Heath ist dieser Umstand aufgefallen, und obwohl sie mir gegenüber betonte, dass sie mitnichten jeden in Amerika befragt habe, räumt das Ergebnis ihrer Recherche mit dem Mythos vom allgemeinen Publikum nachhaltig auf. Damit sich ein Mensch dauerhaft für Literatur interessiert, sagte sie, müssten zwei Dinge gegeben sein. Erstens müsste die Angewohnheit, qualitativ hochstehende Literatur zu lesen, in Kindheit und Jugend «stark vorgeprägt» worden sein. Mit anderen Worten, eines oder beide Elternteile müssten anspruchsvolle Bücher gelesen und das Kind ermuntert haben, dies ebenfalls zu tun. An der Ostküste stellte Heath diesbezüglich große Schichtenunterschiede fest. Eltern in privilegierten Schichten ermuntern zum Lesen aus einer Haltung heraus, die Louis Auchincloss «Anspruch» nennt: Genauso, wie ein zivilisierter Mensch in der Lage sein sollte, Kaviar und einen guten Burgunder zu schätzen, sollte er in der Lage sein, Gefallen an Henry James zu finden. In anderen Landesteilen ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schichtvon geringerer Bedeutung, insbesondere im protestantischen Mittleren Westen, wo Literatur als eine Art geistige Übung angesehen wird. In Heaths Worten: «Ein Teil der Übung, ein guter Mensch zu sein, besteht darin, die Freizeit nicht leichtfertig zu nutzen. Man

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