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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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werden, sogar um den Preis einer gewissen Obskurität, egal, wie reizvoll und subversiv die Eigenwerbung auf kurze Sicht auch sein mag.
    In dem Versuch, Gaddis’ Beispiel zu folgen, hielt ich mich lange streng daran, meine Arbeit für sich sprechen zu lassen. Nicht dass ich mit Einladungen bombardiert worden wäre, aber ich weigerte mich zu unterrichten, Rezensionen für die
Times
zu schreiben, übers Schreiben zu schreiben, auf Partys zu gehen. In einer Zeit des Persönlichkeitskults empfand ich es als Betrug, mich außerliterarisch zu äußern; es implizierte einen mangelnden Glauben an die Tauglichkeit der Literatur zu Verständigung und Selbstausdruck und trug somit, wie ich meinte, dazu bei, die allgemeine Abkehr vom Imaginierten und Hinwendungzum Faktischen zu beschleunigen. Mein Weltbild war eins der schweigsamen Helden und geselligen Verräter.
    Schweigen ist jedoch nur dann ein nützliches Statement, wenn irgendwo jemand erwartet, dass man seine Stimme erhebt. In den neunziger Jahren schien Schweigen ausschließlich zu gewährleisten, dass ich auch ja allein war. Schließlich dämmerte mir, dass die Verzweiflung, die ich über den Zustand des Romans empfand, weniger das Resultat meiner Veralterung als vielmehr meiner Isolation gewesen ist. Eine Depression äußert sich als Realismus gegenüber der Fäulnis der Welt im Allgemeinen und der des eigenen Lebens im Besonderen. Doch Realismus ist lediglich eine Maske für das tatsächliche Wesen der Depression, die alles umfassende Entfremdung von den Mitmenschen. Je überzeugter man ist, einzig man selbst habe Einblick in die Fäulnis, desto größer wird die Angst, sich auf die Welt einzulassen, und je weniger man sich auf die Welt einlässt, desto tückischer smileygesichtig erscheint einem der Rest der Menschheit, weil er sich weiterhin darauf einlassen kann.
    Für diese Entfremdung waren Schreibende und Lesende schon immer anfällig. Die Teilhabe an der virtuellen Gemeinschaft des gedruckten Wortes erfordert schließlich, dass man allein ist. Doch die Entfremdung wird noch tiefer, drängender und gefährlicher, wenn diese virtuelle Gemeinschaft nicht mehr dicht bevölkert und verkehrsreich ist; wenn die rettende Kontinuität der Literatur an sich unter elektronischen und akademischen Beschuss gerät; wenn die individuelle Entfremdung zu einer universellen wird und der Wirtschaftsteil über eine Verschwörung der Welt nicht bloß gegen einen selbst, sondern gegen alle Gleichgesinnten berichtet und der Preis des Schweigens offenbar nicht mehr Obskurität, sondern völliges Vergessenwerden ist.
    Ich sehe ein, dass jemandem, der bekenntnishaft für eine überregionale Zeitschrift schreibt, vielleicht ein wenig die Glaubwürdigkeit fehlt, wenn er behauptet, für einen Schriftsteller, dernach dem
Sputnik
geboren worden sei, stelle echte Einsiedelei einfach keine Alternative dar, weder psychisch noch finanziell. Mag sein, dass ich zu einem geselligen Verräter geworden bin. Aber seit ich meinen Büchern verspätet aus dem Haus gefolgt bin, ein wenig journalistisch gearbeitet habe und mich sogar auf Partys habe blicken lassen, kommt es mir weniger so vor, als würde ich mich der Welt bekannt machen, als dass ich die Welt mir bekannt mache. Kaum war ich aus meiner Verzweiflungsblase herausgetreten, erkannte ich, dass nahezu jeder, dem ich begegnete, viele meiner Befürchtungen teilte und dass andere Schriftsteller sie sogar
alle
teilten.
    Früher, als literarisches Leben und Kultur noch Synonyme waren, konnte man auf eine Weise allein sein, wie man in Städten allein sein konnte, wo man immer, Tag und Nacht, den Trost der Menge vor der Tür fand. Im Zeitalter der Vorstädte, in dem die steigenden Fluten der elektronischen Kultur aus jedem Lesenden und jedem Schreibenden eine Insel gemacht haben, könnte es sein, dass wir uns gegenseitig aktiver der Existenz einer Gemeinschaft versichern müssen. Ich habe Creative-Writing-Seminaren wegen der, wie mir es schien, falschen Geborgenheit in ihnen immer misstraut, so wie ich auch den Buchclubs misstraut habe, weil sie Literatur wie ein bitteres Kreuzblütlergemüse behandeln, das man nur mit einem Löffel Geselligkeit hinunterkriegt. Seitdem ich meine Fühler nach meinem eigenen Gemeinschaftssinn ausstrecke, misstraue ich beiden ein bisschen weniger. Das besondere Ansehen des Romans im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert verstehe ich als historischen Zufall – es gab eben keine Konkurrenz. Jetzt schrumpft die

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