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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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Distanz zwischen Autor und Leser. Statt olympischer Gestalten, die zu den Massen tief unten sprechen, gibt es für jeden von uns die passende Diaspora. Lesende und Schreibende sind vereint in dem Bedürfnis, allein zu sein, sind vereint in ihrem Streben nach Substanz in einer Zeit stetig zunehmender Flüchtigkeit: inihrer Hinwendung nach innen, mittels des gedruckten Worts, um aus dem Alleinsein herauszutreten.
     
    Eine der Lieblingsvorstellungen der Cybervisionäre ist, die literarische Kultur sei antidemokratisch – die Lektüre guter Bücher vornehmlich eine Beschäftigung müßiggängerischer Weißer   –, und unsere Republik werde darum gesünder sein, wenn sie sich ganz dem Computer überlasse. Wie Shirley Heaths Recherchen (oder auch nur gelegentliche Besuche in einer Buchhandlung) verdeutlichen, lügen die Cybervisionäre. Lesen ist eine ethnisch nicht zuzuordnende gesellschaftsskeptische Tätigkeit. Die reichen weißen Männer, die heutzutage leistungsstarke Laptops haben, sind die augenfälligste Elite dieses Landes. Das Wort «elitär» ist der Stock, mit dem sie diejenigen prügeln, für die der Erwerb technischer Geräte mit Leben nichts zu tun hat.
    Dass Misstrauen oder blanker Hass gegen das, was wir heute «Literatur» nennen, schon immer eine Eigenheit von Sozialvisionären gewesen ist, seien es nun Plato oder Stalin oder die zeitgenössischen Technokraten des freien Markts, kann uns zu der Ansicht führen, dass Literatur eine Funktion über die Unterhaltung hinaus hat, nämlich die einer Spielart gesellschaftlicher Opposition. Schließlich entfachen Romane manchmal eine politische Debatte oder werden zum Gegenstand davon. Und da der eine bescheidene Gefallen, um den ein Schriftsteller die Gesellschaft bittet, die Freiheit des Ausdrucks ist, sind die Dichter und Schriftsteller eines Landes oft diejenigen, die in Zeiten religiösen oder politischen Fanatismus zur Stimme des Gewissens werden müssen. Besonders stark ist die oppositionelle Aura der Literatur in Amerika, wo der geringe Status der Kunst dazu beiträgt, dass aus kindlichen Resistenzlesern höchst entfremdete erwachsene Schriftsteller werden. Mehr noch: Da Geldverdienen in unsererKultur schon immer von zentraler Bedeutung war und Großverdiener selten besonders interessant sind, finden sich die unvergesslichsten Figuren der US-amerikanischen Literatur von jeher eher am Rand der Gesellschaft angesiedelt: Huck Finn und Janie Crawford, Hazel Motes und Tyrone Slothrop. Nicht zuletzt wird eine oppositionelle Haltung in einem Alter ausgebildet, in dem schon der Griff zu einem Roman nach dem Essen eine Art kulturelles
Je refuse!
ist.
    Allzu leicht wird daher vergessen, wie häufig gute Künstler zu allen Zeiten betont haben, dass, um mit Auden zu sprechen, «Kunst nichts bewirkt». Allzu leicht gelangt man von dem Wissen, dass der Roman eine Wirkung haben
kann
, zu der Überzeugung, dass der Roman eine Wirkung haben
muss
. Nabokov fasste das politische Programm, das sich von jedem Schriftsteller unterschreiben lässt, ziemlich treffend zusammen: keine Zensur, gute Allgemeinbildung, keine Porträts von Staatsoberhäuptern, die größer sind als eine Briefmarke. Gehen wir auch nur einen Schritt darüber hinaus, streben unsere Vorstellungen schon radikal auseinander. Was sich als der uns alle einende Glaube herausdestilliert, ist nicht, dass der Roman etwas verändern, sondern dass er etwas
bewahren
kann. Das, was bewahrt wird, hängt vom jeweiligen Schriftsteller ab; es kann etwas so Privates wie «Meine interessante Kindheit» sein. Doch in dem Maße, wie die Massenkultur das Land durch immer mehr Zerstreuung fasziniert, werden die Hürden selbst für Autoren, deren oberstes Ziel es ist, einen Lehrauftrag zu ergattern, immer höher. Ob sie sich darüber Gedanken machen oder nicht: Schriftsteller bewahren eine Tradition der präzisen, ausdrucksstarken Sprache, die Kunst, durch Oberflächen hindurch in Inneres zu blicken, vielleicht die Einsicht, dass private Erfahrung und öffentlicher Kontext sich unterscheiden und doch durchdringen, vielleicht Mysterien, vielleicht Gewohnheiten. Vor allem aber bewahren sie eine Gemeinschaft von Lesenden und Schreibenden, und die Mitgliederdieser Gemeinschaft erkennen einander daran, dass ihnen nichts auf der Welt als einfach erscheint.
    Shirley Heath gebraucht das nüchterne Wort «Unvorhersehbarkeit», um diese Komplexitätsgewissheit zu beschreiben; Flannery O’Connor nannte es «Mysterien». In
Was am Ende

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