Anleitung zum Alleinsein
bleibt
formuliert Paula Fox es so: «Im Panzer des Alltagslebens und seinen flüchtigen Kompromissen vor sich hin zu funktionieren war Anarchie.» Für mich ist das Wort, das die Sicht des Schriftstellers auf die Welt am besten trifft,
tragisch
. In Nietzsches Beschreibung der «Geburt der Tragödie», die als Theorie, warum die Menschen traurige Geschichten mögen, nach wie vor ziemlich unschlagbar ist, wird eine anarchische «dionysische» Einsicht in die Düsternis und Unvorhersehbarkeit des Lebens mit einer «apollinischen» Klarheit und Schönheit der Form so verknüpft, dass sich daraus eine Erfahrung herleitet, die in ihrer Intensität religiös ist. Selbst für Menschen, die an nichts glauben, was sie nicht mit eigenen Augen sehen können, vermag die formalästhetische Darstellung menschlichen Elends (auch wenn wir Schriftsteller leider zu Recht wegen unseres allzu freizügigen Gebrauchs des Worts verspottet werden) erlösend zu sein.
In
König Ödipus
lassen sich verschiedene Lehren finden – «Höre auf Orakel» etwa oder «Erwarte das Unerwartete» oder «Heirate in Eile, bereue mit Weile» –, und dass es sie gibt, nährt in uns den Glauben an eine Ordnung, die dem Universum zugrunde liegt. Aber was Ödipus menschlich macht, ist, dass er natürlich nicht auf das Orakel hört. Und obwohl Sophie Bentwood zweieinhalbtausend Jahre später nicht versuchen «sollte», sich von der tollwütigen Gesellschaft um sie herum abzuschotten, versucht sie es natürlich doch. Dann allerdings, schreibt Fox, passiert das: «Wie rasch wurde die Hülse des Erwachsenenlebens, seine
Wichtigkeit
, durch den Stoß von etwas zertrümmert, was ganz plötzlich wirklich und dringend und absurd war.»
Ich hoffe, es ist klargeworden, dass ich mit «tragisch» so ungefährjede Literatur meine, die mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet: in der ein Konflikt nicht in Geschwätz ertrinkt. (Der verlässlichste Hinweis auf eine tragische Perspektive in einem literarischen Werk ist der Humor.) Anspruchsvolle Literatur tragisch zu nennen hat den Sinn, die große Kluft zu betonen zwischen ihr und den Phrasen des Optimismus, die unsere Kultur so stark durchdringen. Die notwendige Lüge eines jeden erfolgreichen Regimes, auch des beschwingten Techno-Korporatismus, unter dem wir heute leben, ist die, dass das Regime die Welt hat besser werden lassen. Der tragische Realismus hält die Erkenntnis wach, dass Verbesserungen immer ihren Preis haben, dass nichts ewig währt, dass das Gute auf der Welt, wenn überhaupt, das Schlechte nur ganz knapp überwiegt. Vermutlich hatte die Kunst schon immer einen besonders dürftigen Einfluss auf die Vorstellungskraft der Amerikaner, weil unserem Land so wenig Schreckliches widerfahren ist. Die einzige echte Tragödie, die uns ereilt hat, war die Sklaverei, und wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass ausgerechnet die Südstaatenliteratur auffallend reich ist und viele Genies hervorgebracht hat. (Man vergleiche damit die Literatur der sonnigen, fruchtbaren, friedlichen Westküste.) Wenigstens an der Oberfläche besteht die Geschichte Amerikas für die große weiße Mehrheit aus Erfolg und nochmal Erfolg. Der tragische Realismus hält den Zugang zum Morast hinter dem Traum vom Auserwähltsein offen – zu der menschlichen Mühsal hinter den Annehmlichkeiten der Technik, zum Schmerz hinter der popkulturellen Narkose: zu all den dunklen Vorzeichen an den Rändern unserer Existenz.
Menschen ohne Hoffnung schreiben nicht nur keine Romane, sondern, und das trifft die Sache genauer, sie lesen auch keine. Nichts nehmen sie länger in Augenschein, denn dazu fehlt ihnen der Mut. Wer dabei ist zu verzweifeln, verweigert jede Art von Erfahrung, und der Roman ist natürlich eine Möglichkeit, Erfahrungen zu machen.
Flannery O’Connor
Eine Depression ist, wenn sie klinisch ist, keine Metapher. Sie ist vererbbar, und man weiß, dass sie auf Medikamente und Therapie anspricht. Wie sehr man auch glauben mag, dass im Dasein eine Krankheit steckt, für die es keine Heilung gibt, wird man, wenn man depressiv ist, früher oder später kapitulieren und sagen: Ich will einfach nicht mehr, dass es mir so schlechtgeht. Der Übergang vom depressiven zum tragischen Realismus – vom Gelähmtwerden durch Düsternis zum Getragenwerden durch Düsternis – scheint somit eigenartigerweise den Glauben an die Möglichkeit einer Heilung vorauszusetzen. Diese «Heilung» aber vollzieht sich alles andere als direkt.
Die frühen
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