Anleitung zum Alleinsein
eine Handvoll guter Schriftsteller einen sechs- oder gar siebenstelligen Vorschuss (was den launigen Anhängern des Glaubens «Die amerikanische Literatur boomt!» Munition liefert), und ein paar von ihnen schaffen es tatsächlich in die Charts. E. Annie Proulx’ Roman
Schiffsmeldungen
hat sich in den letzten beiden Jahren beinahe eine Million Mal verkauft;
Grenzgänger
von Cormac McCarthy, 1994 im Bereich gebundener Bücher der bestverkaufte literarische Roman, erreichte auf der Bestsellerliste von
Publisher’s Weekly
Platz einundfünfzig. (Auf Platz fünfzig stand
Star Trek. Die Verurteilung.
)
Anthony Lane hat unlängst in zwei Essays im
New Yorker
demonstriert, dass die meisten Romane auf der gegenwärtigen Bestsellerliste zwar nichtssagend, vorhersehbar und schlecht geschrieben sind, die Bestseller von vor fünfzig Jahren allerdings ebenfalls nichtssagend, vorhersehbar und schlecht geschrieben waren. Die Essays zertrümmern nützlicherweise die Vorstellung eines Goldenen Prä-T V-Zeitalters , in dem die amerikanischen Massen noch die Nase in literarische Meisterwerke steckten; Lane stellt klar, dass der literarische Geschmack breiter Leserschichtenin diesem Land im Lauf eines halben Jahrhunderts nicht schlechter geworden ist. Was sich dagegen
verändert
hat, ist die wirtschaftliche Seite des Buchverlegens. Der größte Bestseller von 1955,
Marjorie Morningstar
, verkaufte sich in den Buchhandlungen hundertneunzigtausendmal. 1994 wurde in einem Land mit nahezu verdoppelter Bevölkerungszahl John Grishams
Die Kammer
über drei Millionen Mal verkauft. Das Verlagswesen ist heute eine Hollywoodtochter und der Kassenschlager-Roman ein massenmarktfähiges Gut, ein tragbarer Fernseherersatz.
Das Fortbestehen eines Marktes für Literatur wirkt sich auf die Schriftsteller disziplinierend aus, da er uns an unsere Unterhaltungspflicht erinnert. Wenn aber Universitäten für ambitionierte Schriftsteller eine Szylla sind, dann ist das Wesen des modernen amerikanischen Markts – die Einteilung der Künstler in Superstars, Stars und Nobodys, die klarsichtige Erkenntnis, dass nichts den Verkauf eines Produkts so befördert wie eine Persönlichkeit – wahrhaft eine Charybdis. Dem, der das geeignete Temperament dazu hat, kann es gelingen, sich erfolgreich mit Ironie zu vermarkten, indem er sich über das Marketing lustig macht. Nicht von ungefähr ist das literarische Thema des jungen Autors Mark Leyner die Selbstvermarktung des jungen Autors Mark Leyner; ganze drei Mal war er schon in der
Letterman -Show
. Doch den meisten Schriftstellern bereitet die Vermarktung des von Natur aus privaten Lesevorgangs durch eigene Imagepflege – auf Lesereise, in Radio-Talkrunden, auf Tüten und Kaffeebechern des Buchkaufhauses Barnes & Noble – einiges Unbehagen. Der Autor, für den das gedruckte Wort über allem anderen steht, ist eo ipso eine wenig telegene Persönlichkeit, und wenn wir uns erinnern, wie viele unserer von der Kritik geschätzten älteren Schriftsteller in einem Land, in dem Medienpräsenz gesucht wird wie der Heilige Gral, beschlossen haben, ihre Privatsphäre zu schützen, so ist das aufschlussreich. Salinger, Roth, McCarthy, Don DeLillo, William Gaddis, Anne Tyler, Thomas Pynchon,Cynthia Ozick und Denis Johnson – sie alle geben kaum oder gar keine Interviews, unterrichten oder touren, wenn überhaupt, wenig und lehnen es in manchen Fällen sogar ab, sich fotografieren zu lassen. Zweifellos spielen hier diverse Heath’sche Dramen der sozialen Isolation hinein. Doch für manche dieser Schriftsteller ist öffentliche Zurückhaltung ein integraler Bestandteil ihres künstlerischen Credos.
In Gaddis’ erstem Roman
Die Fälschung der Welt
(1955) ruft ein Alter Ego des Autors aus: «Was wollen sie denn von dem Mann, was ihnen nicht schon sein Werk gegeben hat? Was erwarten sie denn? Was ist noch übrig von ihm, wenn er sein Werk getan hat? Was ist der Künstler überhaupt, wenn nicht der Abfall seines Werks? der menschliche Scherbenhaufen, der ihm folgt?» Nachkriegsschriftsteller wie Gaddis und Pynchon und Nachkriegskünstler wie Robert Frank haben diese Fragen ganz anders beantwortet als Norman Mailer und Andy Warhol. 1954, noch bevor das Fernsehen das Radio als vorherrschendes Medium ablösen sollte, erkannte Gaddis, dass der Künstler, der es wirklich ernst damit meint, sich einer Kultur des verfälschten, massenhaft vermarkteten Bilds zu widersetzen, sich auch widersetzen muss, selbst zum verfälschten Bild zu
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