Anleitung zum Alleinsein
ungeheuer willkommen. Ist das eine Gemeinschaft? Ist die Wirklichkeit künstlich, oder bin ich einer unter anderen auf einer echten Promenade? Ich weiß es nicht. Wenn ich nicht gerade vom Purpurrot und Krickentenblau, den diesjährigen Modefarben für suburbane Freizeitkleidung, abgestoßen werde, bin ich zu beschäftigt damit, den Kaufrausch zu genießen, um allzusehr darauf zu achten.
Meine Sehnsucht nach dem Stadtleben ist etwas ganz anderes. Oft haftet ihr eine gewisse Unruhe an; so richtig entspannt bin ich erst, wenn ich wieder zu Hause bin; zwischen Drinnen und Draußen besteht ein gewaltiger Unterschied. Wie ist es möglich, dass das Leben in New York, dessen Gebäude wie erstarrte Aufwallungen reinen geschmolzenen Kapitals sind, der Welt des Konsumismus so viel
weniger
verpflichtet ist als das Leben in der Vorstadt, das angeblich mehr Freiheit und Privatsphäre bietet? Die Antwort ist, in einem engeren Sinne, dass Städte ein älteres, weniger fortgeschrittenes Stadium in der Entwicklung des Kaufens und Verkaufens darstellen, da die Produzenten dort noch dicht an dicht mit den Konsumenten arbeiten und der wirtschaftliche Mechanismus leicht zu überprüfen und somit weniger anfällig für die plötzliche Verzauberung des Kunden durch die modernen Verkaufstechniken ist, und, in einem allgemeineren Sinne, dass es in der Natur der Städte liegt, die Verantwortlichkeit erwachsener Menschen zu stärken. Damit will ich nicht behaupten, dass wir Städter auch nur ein bisschen weniger verrückt nach Konsumgütern als die Vorstädter sind oder dass die Säuberungs- und Polizeiaktionen in manchen «Business Improvement Districts» nicht schon heute breite Schneisen von Manhattan in Freiluft-Malls verwandeln – nur, dass man auf den Straßen NewYorks viel eher Dinge erlebt, die nichts mit Geldausgeben zu tun haben, als in einer herkömmlichen Passage.
Rybczynski hat dennoch recht, wenn er betont, dass «städtisch» und «kommerziell» in Amerika schon immer Beinahe-Synonyme waren. Obwohl auch europäische Städte historisch die Funktion von Handels- und Gewerbezentren erfüllten, besaßen sie darüber hinaus Funktionen, die noch älter waren: als Festung, als Ort von Kathedralen und Universitäten, als Residenz von Fürsten und, was das Wichtigste ist, als die Verkörperung einer regionalen oder nationalen Identität. Barcelona
ist
Katalonien
,
und jedes dort neu errichtete Gebäude dient dazu, die Identität Kataloniens noch glanzvoller und konkreter werden zu lassen. Es ist unmöglich, sich eine amerikanische Stadt vorzustellen, die solchermaßen geliebt wird, und sei es nur deshalb, weil wir keine regionalen Identitäten haben, die so kohärent und dauerhaft – so
stammesbezogen
– wie die katalanischen sind. Unser Land wurde vornehmlich von Einwanderern auf der Suche nach Freiheit oder wirtschaftlichen Möglichkeiten oder beidem besiedelt, und vermutlich ist es kein Zufall, dass die Blütezeit der amerikanischen Städte auf die Jahrzehnte der stärksten Einwanderung folgte. Diese Einwanderer glichen einander lediglich in ihrer Ablehnung der Alten Welt und konnten somit nie eine städtische Loyalität ausbilden, die über ihr jeweiliges ethnisches Viertel hinausreichte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie das Ideal der Neuen Welt vom Eigenheim als Königreich übernahmen und mit ihm das, was es implizierte, dass es viel wichtiger ist, was man verdient und was man kauft, als wo man es tut.
Das eigentliche Rätsel ist daher nicht, dass wir so wenige Städte «wie Paris» haben, sondern dass wir überhaupt welche haben. Auch wenn viele Amerikaner die Vorstadt vorziehen, gibt es doch noch immer Millionen, die sich ausdrücklich für die Stadt entscheiden. «Yuppie» ist keine freundliche Bezeichnung, doch die
young urban professionals
beeindrucken nach wie vor durchihre bloße Zahl. Selbst die heruntergekommensten urbanen Zentren – Syracuse im Industriegürtel New Yorks, Colorado Springs inmitten der neokalifornischen Zersiedelung – bringen es wenigstens auf ein paar Blocks mit einer lebendigen Mischnutzung. Und viele größere Städte – New York, Boston, San Francisco, Chicago, Los Angeles, Seattle – haben ganz klar eine beständige kritische Masse. Ob gut oder schlecht, das verlässlichste Maß für die Lebendigkeit einer Stadt ist, ob Reiche gern in ihrem Zentrum leben wollen. Einstmals war die Mittelschicht der Leithammel der urbanen Lebendigkeit; in Bürgermeister Giulianis Reden ist sie
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