Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
Vom Netzwerk:
für die Arbeitskultur entsetzlich störend. Es führt zu Fehlzeiten und Kosten für den Arbeitgeber. Es macht uns ein schlechtes Gewissen. Die heutige Gesellschaft erlaubt es uns schlicht und einfach nicht, krank zu sein, oder sie würde es zumindest lieber sehen, wenn wir klaglos wie Automaten wären. Leiden wird unter den Teppich gekehrt, geleugnet, ignoriert, bekämpft.
    Wenn wir mit einer Krankheit daniederliegen, sollten wir nicht denken: »Oh nein, das wird meinen Chef ärgern«, sondern: »Oh wunderbar, ich kann im Bett liegen bleiben, mir alte Filme ansehen, an die Decke starren, Bücher lesen, mit einem Wort, all die Dinge tun, für die ich sonst nie Zeit finde.« Wir dürfen heute kein Opium mehr nehmen, aber ich habe gehört, dass Collis Brownes Hustenmischung eine ähnliche Wirkung hat.
    Das Hauptvorhaben der modernen Medizin ist in der Tat die totale Ausrottung der Krankheit. Bist du krank? Nimm eine Tablette. Das ist die Lösung der medizinischen Orthodoxie. Pillenfirmen schlagen riesige Profite aus Zauberbohnen, die versprechen, uns von Qualen zu befreien und an den Schreibtisch zurückzuschicken. Werbeagenturen kreieren Annoncen, die empfehlen, Medikamente einzunehmen, damit wir unseren Job nicht verlieren. Zuerst war es das Mittagessen, jetzt wird uns erzählt, Kranksein sei etwas für Schlappschwänze.
    Unsere Einstellung zur Krankheit hat in den letzten Jahren dramatisch an Müßiggängerfreundlichkeit eingebüßt. Um das zu belegen, brauchen wir nur einen Blick auf die jüngste Geschichte des Lemsip-Marketings zu werfen. Als ich klein war, war ein heißer Becher Lemsip mit Honig eine der Freuden einer schweren Erkältung oder Grippe. Dazu gehörte, dass man in einen Morgenmantel gewickelt wurde und sich Crown Court ansehen durfte. Alles zusammen machte das Vergnügen aus. Die Mutter brachte einem eine dampfende Tasse des wohltuenden Nektars ans Bett. Man nippte daran, hustete schwach und genoss die heilenden Dämpfe. Es hatte natürlich eine gewisse positive Wirkung auf die körperlichen Symptome der Krankheit, aber es war auch ein
    Genuss an sich. Lemsip gehörte zu der herrlichen, ach so ersehnten Verlangsamung, die Kranksein in unser Leben bringen kann.
    Damit ist es aus. Lemsip hat sich als »Medizin für Arbeitsame« neu erfunden. Es ist von einem Freund des Müßiggängers zu seinem ärgsten Feind geworden. Warum? »Weil das Leben nicht Halt macht«, wie einer der entsetzlich aggressiven Slogans der Firma behauptet. Das heißt, anstatt seine Krankheit zu genießen und ein paar Tage abzuwarten, bis sie weg ist, soll man mannhaft die Symptome unterdrücken und ganz normal weitermachen: konkurrierend, arbeitend, konsumierend.
    Lemsip behauptet sogar, man werde von einem normalen Menschen zu etwas Edlerem, wenn man diese Medizin nimmt. »Neue Lemsip-Produkte für hart arbeitende Helden« steht auf einem Button auf ihrer Website. Wir müssen uns durchbeißen und unsere Pflicht tun. Keine Zeit, krank zu sein. Keine Zeit, um im Bett zu liegen. Marsch, marsch, marsch.
    Am scheußlichsten von allen war ihr jüngster Slogan »Hör auf zu schniefen und geh zurück zur Arbeit.« Ich gebe zu, es liegt ein gewisser Witz drin, aber die Stimme ist trotzdem die einer strengen, autoritären Cheffigur, die einem absichtlich ein schlechtes Gewissen macht. Andere Werbespots machen sich die Unsicherheiten der Arbeitnehmer zu Nutze, indem sie zeigten, dass der Mann, der Lemsip nimmt und sich mit seiner Grippe ins Büro schleppt, eher seinen Job behalten wird als der Schlappschwanz, der sich ein, zwei Tage krank meldet. Was sie damit sagen wollen, ist: »Eine Erkältung zu bekommen, könnte dazu führen, dass ihr euren Job, eure Wohnung, euer Darlehen verliert – alles, was ihr wertschätzt. Nehmt Lemsip, und alles geht in Ordnung. Ihr seid vielleicht nicht glücklich, zumindest aber sicher.«
    Mit seiner neuesten Produktinnovation ist Lemsip sogar noch einen Schritt weiter auf das Ziel zugegangen, ein vollkommen freudloses Heilmittel zu werden. Inzwischen ist es nicht mal mehr etwas, das man schlückchenweise trinkt. Man hat eine neue Sorte Pillen namens Lemsip Max Strength Direct erfunden, die man schlucken kann, »ohne dass man Wasser braucht«. Es ist, wird behauptet, »das erste wirklich praktische Erkältungs- und Grippemittel«. Mit anderen Worten, man kann sich ein paar von diesen Dingern in den Rachen werfen, während man sich anzieht oder zum Bus rennt. Man muss nicht mehr kostbare Zeit vergeuden und

Weitere Kostenlose Bücher