Anleitung zum Müßiggang
die schreckliche Unbequemlichkeit auf sich nehmen, Wasser heiß zu machen, es auf das Pulver zu gießen und dann langsam schlückchenweise zu trinken. Lemsip ohne das langweilige Trinken (sip). Und höchstwahrscheinlich ist Lem (Zitrone) auch nicht mehr drin. Bloß noch ein wirksames Mittel, das den eifrigen Arbeiter unterstützt, damit er mit Volldampf (Max Strength) schuften kann.
Dieses Arbeiten bei Krankheit ist auch in den USA verbreitet. In Nickel and Dimed beschreibt Barbara Ehrenreich einen Werbespot für das Schmerzmittel Aleve, in dem »ein attraktiver Typ in Fabrikarbeiterklamotten fragt: Wenn du nach vier Stunden aufhörst zu arbeiten, was würde dein Chef da sagen? Und ein nicht so attraktiver Typ in blauer Fabrikkleidung, der einen Eisenträger auf dem Rücken schleppt, antwortet: Er würde mich feuern, das würde er sagen.« Ehrenreich schreibt, dass sich ihre Kolleginnen vom Hausmädchen-Service lieber mit Schmerzmitteln vollstopften, als die Gefahr einzugehen, ihren Job zu verlieren. Diese Haltung wird von einem Chef der Reinigungsfirma, »Ted«, unterstützt:
Ted hat nicht viel übrig für Krankheit ... in einer unserer morgendlichen Versammlungen ging es um das Thema »Zähne zusammenbeißen«. Jemand, er wolle keine Namen nennen, erzählte er uns, hatte sich wegen Migräne krank gemeldet. »Also, wenn ich eine Migräne kriege, schmeiß ich einfach zwei Excedrin ein und mach weiter mit meinem Leben. Das ist es, was man machen muss – die Zähne zusammenbeißen .«
Doch selbst wenn man die Symptome mit Schmerzmitteln unterdrückt, die Krankheit ist trotzdem da. Ihre Heilung dauert länger, wenn man sie ignoriert. Und besteht nicht größere Gefahr, dass man Kollegen und Mitpendler ansteckt, wenn man sich krank ins Büro oder in die Fabrik schleppt? Die Lemsip-Kampagne und andere wie sie tragen eine Menge Verantwortung.
Also: Ich habe ein Vorbild zerstört. Kann ich ein anderes an seine Stelle setzen? Mir scheint, dass die Mission, Krankheit für immer aus unserem Körper und unserem Leben zu verbannen, aussichtslos ist. Es ist ein Plan nach Art der Faschisten – der Gedanke, dass jedes Element, das eventuell das reibungslose Funktionieren des Körpers gefährdet, vernichtet werden muss. Wie es bei vielen anderen Aspekten des müßigen Lebens der Fall ist, ist die vernünftige Lösung für die Krankheit nicht der Versuch, sie zunichte zu machen, sondern Strategien für den Umgang mit ihr zu entwickeln. Leiden gehört zum Leben; wie man mit Leiden fertig wird, das zählt. Dann kann die Krankheit ebenso gut ein Vergnügen werden wie eine Prüfung. Als Erstes müssen wir das schlechte Gewissen wegen unserer Krankheit überwinden, und dann müssen wir uns so lange bei der Arbeit krank melden wie notwendig. Wir müssen die Krankheit willkommen heißen, sie hätscheln, Freundschaft mit ihr schließen, sie zu bleiben bitten und traurig sein, wenn sie von uns geht.
Um uns dabei zu helfen, benötigen wir mehr Ärzte, die dem Müßiggang freundlich gesinnt sind. Statt Pillen zu verordnen und zu versuchen, die Krankheit in möglichst kurzer Zeit zur Strecke zu bringen, sollten sie ihre Patienten lange krankschreiben. Drei Tage sollten das Minimum sein; aber sie könnten auch eine Ruhekur von bis zu zwei Monaten Dauer verschreiben. Wir müssen unsere Ärzte erziehen. Lehnt Antibiotika ab, verweigert Paracetamol. Sagt eurem Arzt, dass ihr nichts weiter braucht als ein paar Tage Erholung, und er soll euch doch bitte ein kleines Briefchen für euren Chef mitgeben. Ärzte, schließt euch uns an! Ich appelliere an euch! Ihr seid Diener der Arbeitsmoral! Wir brauchen euch, damit ihr dringend benötigte Zeit in unser Leben hineinpumpt! Auf diese Weise wird eure Krankmeldung durch eine höhere Autorität sanktioniert. Es ist schwer, auf eigene Faust untätig zu sein.
Der Appell an die Obrigkeiten ist aber nur eine vorläufige Lösung für angehende Müßiggänger, die ihre ersten Schritte in die Freiheit tun. Den entscheidenden Kampf müssen wir mit uns selbst ausfechten: Wir müssen unser schlechtes Gewissen wegen der Krankmeldung überwinden. Wir müssen selbst die Verantwortung für unsere Krankheiten übernehmen, statt dankbar zu sein, dass ein »Fachmann« uns aus der Klemme geholfen hat. Hat man es allerdings mit einem Chef wie »Ted« zu tun, dann ist das keine leichte Aufgabe. Aber man muss mutig sein. Du musst das Selbstvertrauen haben zu sagen: »Ich bin krank, ich komme ein paar Tage nicht zur
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