Anleitung zum Müßiggang
überhaupt Hunde? Ich verstehe sie nicht.)
Wie der Müßiggang selbst hat die flânerie ein paradoxes Ziel: Langsames Schlendern mag dem Geschäftsmann als Zeitverschwendung erscheinen, aber für den schöpferischen Geist ist es eine fruchtbare Tätigkeit, denn beim Gehen hat der Flaneur die Muße, nachzudenken und Ideen zu produzieren. Benjamin nennt hierfür viele Beispiele. Kein Geringerer als Beethoven, erzählt uns Benjamin mit einem Zitat des Wörterbuchautors Pierre Larousse, komponierte in seinem Kopf, während er durch die Stadt flanierte:
In den ersten Jahren dieses Jahrhunderts sah man jeden Tag – ohne Rücksicht auf das Wetter, bei Sonnenschein oder Schnee – einen Mann auf den Wällen der Stadt Wien umherspazieren. Dieser Mann war Beethoven, der bei seinen Wanderungen seine großartigen Symphonien im Kopf ausarbeitete, ehe er sie auf Papier notierte. Für ihn existierte die Welt nicht mehr, vergebens grüßten ihn Leute ehrfürchtig, während er vorüberging. Er sah nichts; sein Geist war woanders.
Victor Hugo war ein anderer berühmter Flaneur: »Für ihn war der Morgen sitzenden Arbeiten vorbehalten, der Nachmittag der Arbeit des Flanierens. Er liebte die Oberdecks der Omnibusse – diese ›Reisebalkons‹, wie er sie nannte –, von denen aus er ganz nach Gutdünken die verschiedenen Aspekte der Riesenstadt studieren konnte. Er behauptete, der ohrenbetäubende Lärm von Paris habe auf ihn dieselbe Wirkung wie das Meer«, schrieb 1900 sein Biograf Edouard Drumont.
Wahrscheinlich fallen uns allen eigene Beispiele ein. Gerade denke ich an den großen Nichtstuer Jim Morrison, der gern den Autos zuhörte, die an seinem Fenster in L. A. vorbeifuhren. Natürlich ist da auch John Lennon, der in den siebziger Jahren in New York gern die sich ständig drehenden Räder beobachtete. Und ich habe gehört, dass der Filmemacher Russ Meyer, Autor solcher Hits wie »Supervixens« und »Beyond the Valley of the Dolls«, seine Drehbücher und Plots auf einem zweistündigen Spaziergang nach dem Mittagessen ausarbeitete.
Durch die Stadt zu wandern wurde nicht erst im neunzehnten Jahrhundert als Betätigung entdeckt: Der visionäre Dichter der Großstadt, William Blake, wanderte als Junge oft durch das vorindustrielle London. Sein Biograf Peter Ackroyd berichtet, dass er auf diesen Spaziergängen spektakuläre Visionen hatte: Er sah einen Baum voller Engel in der Peckham Rye, den Propheten Hesekiel unter einem Baum auf den Feldern und Engel unter den Heumachern. Wenn er seinen Eltern von diesen Erscheinungen berichtete, erntete er eine gehörige Tracht Prügel dafür, dass er so ein Lügner war. Blake zeigte in seinem Gedicht »Jerusalem« (1804), dass die Stadt als Quelle der Fantasie ebenso anregend wie das Land sein kann:
Die Felder von Islington bis Marybone,
Bis Primrise Hill und Saint Johns Wood;
Waren überbaut mit Säulen aus Gold
Und Jerusalems Säulen standen dort.
Es gibt den einsamen Spaziergang, es gibt aber auch den Spaziergang in Begleitung. Die Idler-Mitarbeiter Mark Manning und John Nicholson könnten sich mit Fug und Recht als Flaneure bezeichnen: Ihre Tage und Nächte verbringen sie damit, durch die Straßen von London zu schlendern. Folglich wird ein Spaziergang, der sonst eine Routineübung wäre, in ihrer Gesellschaft zu einer faszinierenden Reise. Allein zum Beispiel der Weg von meinem Büro in Clerkenwell durch Holborn nach Covent Garden kann in Mannings Begleitung ein Abenteuer werden. Die Hauptstraßen meidend führt er einen vorbei am Museum des Royal College of Surgeons mit seinen missgestalteten Föten in Gläsern, dem John Soane’s Museum, in dem Hogarths Rake’s Progress ausgestellt ist, vorbei am Old Curiosity Shop und den Statuen auf dem Holborn Viaduct, die Allegorien des Handels und der Landwirtschaft darstellen; er führt einen durch die Gerichtshöfe in Lincoln’s Inn, vorbei an den protzigen Autos der Anwälte. Londons Geschichte erwacht zum Leben; man sieht Dinge, die man noch nie gesehen hat, es werden einem die Augen geöffnet.
Es gibt noch einige andere, die das Ansehen des Tippelbruders heben. Der streitlustige britische Journalist Jonathan Meades sieht sich als modernen Flaneur. »Unsere Städte sind voll eiliger Menschen«, klagte er kürzlich in einem Artikel in der Londoner Times. »Ihre Bürgersteige sind nicht fürs Promenieren im Schneckentempo gemacht; sie sind dazu da, von A nach B zu kommen, weniger zur Entspannung der Bürger. Vom Spazierengehen um
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