Anleitung zum Müßiggang
sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Sie brauchten Hilfe, lautet die Theorie, um von der Straße weg und an produktive Arbeit zu kommen. Dies ist ihr sehnlichster Wunsch, so scheint es. Ein Job würde ihre Probleme lösen. Es kommt diesem Typ von Einmischer nicht in den Sinn, dass der Obdachlose, Stadtstreicher, Vagabund vielleicht, nur vielleicht, eben diese Werte ablehnt. Sie wollen keinen Job. Sie wollen nicht bürgerlich werden, mit Schulden, Sorgen und einem Chef am Hals. Sie wollen keine festen Zeiten einhalten und ihr überschüssiges Einkommen in Kaufhäusern und Themenparks ausgeben. Der Tramp in dem Song »D.W. Washburn«, den die Monkeys aufgenommen haben, sagt, er habe keinen Job, nur eine Flasche Wein, und es gehe ihm gut. Er wolle von Wohltätern nicht belästigt werden.
Doch selbst Stadtstreicher stehen nicht so tief, um von der kapitalistischen Wirtschaft nicht ausgebeutet zu werden. In Down and Out in Paris and London (1933) wies George Orwell auf die Betrügereien hin, die in den dreißiger Jahren an Obdachlosen begangen wurden, und enthüllte, wie diejenigen, die, wie William Corbett es ausdrückt, die Armen nähren sollten, in Wahrheit sich von den Armen nähren. Als Gegenleistung für ihre Freiheit mussten die Stadtstreicher sich Moralpredigten der Heilsarmee gefallen lassen und unter den grauenhaftesten Zuständen ihre Nächte verbringen.
Der Vagabund ist traditionell von Gesetzgebern angegriffen worden. Das Folgende fand ich im aktuellen Geschichtslehrplan für die Sekundarstufe an englischen Schulen: »Im Jahr 1598 akzeptierte das Parlament eine Unterscheidung zwischen ›kräftigen Bettlern‹, die hätten arbeiten können, sich aber weigerten, und ›hilflosen Armen‹, die zu alt, jung, behindert oder krank waren. Jede Gemeinde wurde unter Aufsicht der Friedensrichter dazu verpflichtet, die Verantwortung für ihre eigenen Armen zu übernehmen, denen freie Bewegung verboten war. Die Arbeitsunfähigen erhielten Geld (›Armenfürsorge‹) aus einer Armensteuer, die von allen Einwohnern der Gemeinde erhoben wurde. Aber kräftige Landstreicher sollten ›vom Gürtel aufwärts nackt ausgezogen und öffentlich ausgepeitscht werden, bis ihre Leiber blutig‹ wären. Dann sollten sie in ihre Geburtsgemeinde zurückgeschickt und zur Arbeit in einem ›Erziehungshaus‹ gezwungen werden.«
Diese Haltung zur Landstreicherei machten sich die Nazis Mitte der dreißiger Jahre begeistert zu Eigen. Eine Liste »asozialer Elemente«, die im August 1936 von der Bayerischen Staatspolizei herausgegeben wurde, verzeichnete Bettler, Vagabunden, Zigeuner und Landstreicher. Derartige Freiheitssuchende konnten notfalls in »Schutzhaft« genommen (d. h. in ein Konzentrationslager eingewiesen) werden, wo ihnen die Werte von harter Arbeit und Disziplin mit Gewalt eingebläut wurden. »Arbeit macht frei« lautete die Inschrift über dem Tor von Auschwitz.
Wenn ich lobend vom Vagabundenleben schreibe, muss ich dieses Lied aus Izaak Waltons The Compleat Angler zitieren, diesem Meisterwerk der Müßiggänger-Literatur aus dem Jahr 1653. In diesem Buch heißt es, das Glücksgefühl des Anglers werde nur vom Glücksgefühl des Bettlers im Sommer, des Mannes auf der Straße, übertroffen. Wie der Angler ist er arm, aber frei:
Hell strahlt die Sonn’, Bettler spiel auf,
ein Brocken Brot reicht uns vollauf.
Es klinget keiner Geige Ton
so süß wie unsrer Klappern Schall,
bei uns wohnt Freud’ seit jeher schon
und König sind wir überall.
Spiel, Schlaf, Trunk, Schmaus, wie’s uns gefällt,
wir wandern froh auch ohne Geld.
Das Leben des Bettlers wird als frei idealisiert: frei von Arbeit, von Wünschen, von Konsumversklavung. Es ist etwas Wahres daran, und es ist eine Schande, dass wir heute Obdachlose schlicht als Opfer betrachten, denen geholfen werden muss. Das mag ja bei vielen der Fall sein; aber es ist auch möglich, dass viele andere diese Art zu leben wirklich gewählt haben. Sie sind lieber obdachlos, arm und frei als mit Darlehen belastet, in Diensten und versklavt.
Tatsächlich werden in weiten Teilen des Ostens Vagabunden verehrt statt bemitleidet. Die Chinesen empfinden eine tiefe Liebe zu Vagabunden. Lin Yutang schreibt, der Tunichtgut, der spitzbübische Halunke, der Streuner sei in der chinesischen Gesellschaft ein Ideal. Er erzählt die Geschichte von Mingliaotse, die T’u Lung Ende des sechzehnten Jahrhunderts niedergeschrieben hat. Mingliaotse war ein Regierungsbeamter, der eines
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