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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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Tages beschloss, alles aufzugeben und ein taoistischer Landstreicher zu werden, ein Herr der Straße, der wandernd sein Auskommen sucht: »Ich werde mein Herz befreien und meinen Geist freilassen und ins Land der Unbekümmerten ziehen.« Er findet Trost in seinen Wanderungen, jeder, dem er begegnet, ist entzückt von seinem Witz, und er schreibt Gedichte, die deutlich an Wordsworth erinnern:
    Ich schreit’ entlang am sandigen Gestade,
    Wo die Wolken golden, die Wasser hell;
    Erschreckt entfliehn die Zauberhunde
    Zum Pfirsichhain mit lärmendem Gebell.
    Im Buddhismus ist der Bettler, der Landstreicher, der Vagabund kein Gegenstand für Reformen oder liberales Händeringen, ganz im Gegenteil stellt er das Ideal einer Lebensform dar, eines reinen Lebens im Augenblick, des Wanderns ohne Ziel, der Freiheit von weltlichen Sorgen.
    Und in der hinduistischen Kultur finden wir die Figur des Saddhu, eines Mannes mittleren Alters, der, nachdem er seinen weltlichen Verpflichtungen in Form des Dienstes für seinen Arbeitgeber und die Familie nachgekommen ist, beschließt, mit einer Bettlerschale in der Hand davonzuwandern. Er gibt alle Besitztümer auf (»Imagine!«) und bricht auf. Er ist eine heilige Gestalt, verehrt.
    Der große amerikanische Vagabund und Dichter Walt Whitman schrieb einmal:
    Wie liebe ich den Vagabunden! Von allen menschlichen Wesen gleicht keiner dem echten, angeborenen, unveränderlichen Vagabunden. Und wenn ich Vagabund sage, meine ich Vagabund; keinen Kerl, der anfallsweise faul ist – der heute seine zwölf oder vierzehn Stunden arbeitet und morgen döst und faulenzt. Für solche halben Angelegenheiten trete ich nicht ein. Nennt mir den stillen, stetigen, philosophischen Sohn der Trägheit ... er gehört zu dieser alten und ehrwürdigen Bruderschaft, die ich vor all diesen Parvenüs, diesen Dandys und diesen politischen Orakeln verehre.
    »Alt und ehrwürdig«, das ist der Schlüssel. Versuche es. Fange klein an: Sei ein Flaneur der Mittagspause. Schlendere. Trödele. Lass dich treiben. Es ist ein höchst angenehmes Gefühl, anderen überlegen zu sein und selbst über sein Schicksal bestimmen zu können, wenn man einfach den Schritt verlangsamt und sich willenlos treiben lässt. Auf diese Weise zu schlendern heißt, sich zu weigern, ein Opfer der Stadt zu werden, es hilft einem vielmehr, sie zu erfassen und zu genießen. Du bist ein Heiliger, kein Sünder!

6 UHR ABENDS
    Erster Drink des Tages
    Ach, schon so spät?
    Jedermann
    Der Cocktail symbolisiert ein Wohlgefühl des Geistes, also träume all die Träume, die deinem Herzen am nächsten sind. Sie können wahr werden, und zu keiner anderen Zeit wird ihre Erfüllung so nah erscheinen. Denn dies ist die Cocktailstunde.
    CAD, The Lounge Artiste’s Guidebook
    Jeden Abend um sechs ertönt in englischen Heimen der oft in komisch-geschwollenem Ton vom Herrn des Hauses vorgetragene Satz: »Nun, die Sonne steht über der Rahnock, ich meine, wir könnten uns ein kleines Gläschen erlauben.« Und schon gibt’s Gin und Tonic und ein kollektives Stimmungshoch. In wirklich schicken Häusern tritt der Cocktailshaker in Aktion, dicht gefolgt von einer belebenden Margarita. Bei uns zu Hause lassen wir es beim Bier bewenden.
    Vernünftige Leute raten, nicht auf leeren Magen zu trinken, aber meiner Meinung nach ist es die beste Art. Cocktail, Bier oder Wein wirken, von Speisen ungehindert, direkt aufs Nervensystem. Es gibt wirklich nichts Besseres. Damit endet der Arbeitstag, und man legt die irdischen Sorgen zur Seite und überlässt sich guter Laune und Geselligkeit. Das ist der Moment, in dem die Seele sich öffnet und uns das Bedürfnis zu plaudern befällt. Wir fühlen uns befreit. Nachdem wir den Tag damit verbracht haben, entweder in der Vergangenheit zu leben (Reuegefühle, Berichte) oder in der Zukunft (Ängste, Powerpoint-Präsentationen), trägt uns der erste Drink des Tages in die Gegenwart: Wir werden Buddhisten.
    Dieser erste Drink wirkt außerdem wie ein Stärkungsmittel. Auch wenn ich den ganzen Tag gejammert habe, dass ich müde bin, lustlos, dass mir Energie fehlt und ich Schlaf dringend nötig habe – ich werde plötzlich munter, wenn ich dann um sechs, im Pub oder zu Hause, ein Glas schäumendes nussbraunes Ale statt eines Bildschirms vor mir habe. Kraft strömt zurück in meinen Körper. Ich bin wieder da.
    Und mit einem Drink verwandeln sich die Lohnsklaven des Tages in denkende, fühlende, lachende, selbstbewusste menschliche Wesen. Wir sind

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