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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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Muse, mich,
    Dass deine Zauberkraft ich spür
    Und rühme dich!
    Robert Burns , »Scotch Drink«, 1786
    Ich erinnere mich, dass ein ganzer Raum voller Sozialisten geradezu vor Lachen platzte, als ich ihnen erzählte, es gebe kein edleres Wort in der Dichtung als Gastwirtschaft.
    G. K. Chesterton
    Der Pub, die Taverne, die Schankstube, das Gasthaus, die Wirtschaft, die Kneipe – das ist der Ort, wo wir die Last des Alltagslebens ablegen, sie mit Bier und Geplauder vertreiben. Oder nur mit Bier. Ich weiß noch, dass mir, bevor ich Kinder hatte, diese einsamen Männer, die man manchmal in Kneipen sieht, stets Leid getan haben. Zu jeder beliebigen Tageszeit, vielleicht nachmittags um vier, saßen sie da allein mit einem Bier und einer Zeitung, oder nur beim Bier. Dann war ich eines Tages kurz nach der Geburt unseres zweiten Kindes unterwegs, um Weihnachtseinkäufe zu machen. Ich war allein: verabredet war, dass Victoria auf die Kinder aufpassen sollte, während ich ein paar wichtige Dinge erledigte. Es war nachmittags 3 Uhr. Als ich die Hauptstraße entlangging, kam ich an einem Pub vorbei. »Hmmm«, dachte ich. »Sieht nett aus. Und wie viel angenehmer wären die Einkäufe doch nach einem Bier.« Ich ging auf einen Sprung hinein, setzte mich alleine irgendwohin und genoss den Luxus, zwanzig Minuten in friedlicher Einsamkeit zu trinken. Und da wurde mir klar: ich hatte mich genau in den Typ eines traurigen Kerls verwandelt, den ich immer bemitleidet hatte: den einsamen männlichen Trinker. Und in dem Moment begriff ich, was alle diese Männer taten. Es ging eigentlich nicht darum, mal von der Frau wegzukommen; diese einsamen Pub-Zwischenspiele waren eher eine Möglichkeit, ein bisschen Zeit für sich selber zu schaffen, Zeit zum Nachdenken und Ausruhen, weg von der Arbeit und zu Hause. Mußezeit, Freizeit. In den Pub zu gehen, ist eine Möglichkeit, eine Pause einzulegen.
    »Sobald ich durch die Tür einer Taverne trete, verspüre ich das Vergessen von Kümmernissen und die Freiheit von Sorgen«, schrieb Dr. Johnson. »Wenn ich Platz genommen habe, finde ich den Hausherrn höflich, und die Bedienung befolgt beflissen meinen Ruf, begierig, meine Wünsche zu erfahren und bereit, sie zu erfüllen … Ich dogmatisiere, und mir wird widersprochen, und an diesem Gegeneinander der Meinungen und Gefühle finde ich Vergnügen … es gibt nichts, was der Mensch bislang ersonnen hat, das so viel Glück beschert wie eine gute Taverne oder Schenke.«
    Der Pub macht aus jedem Mann einen kleinen Herrn. Während des Tages wirst du vielleicht vom Arbeitgeber, von Kollegen oder der Familie schikaniert und beschimpft. Aber im Pub wird dein Selbstbewusstsein wiederhergestellt. Du bist allmächtig, allwissend, du bist eine mächtige Person geworden. Du hast Meinungen, du hast Antworten. Der Pub ist der Ort, wo wir über unsere Träume und Sorgen, unsere Visionen und Pläne reden. Im Pub werden wir alle zu Experten. Wir bringen die Welt in Ordnung. Mein Freund Nick Lezard erzählte einmal von einem Bierdiplom: sein Besitz verleiht die absolute Befugnis, sehr ausführlich über jedes Thema zu reden. Der Pub ist der Ort, wo wir Ideen haben: Ich bin mir sicher, die Idee zum Idler ist mir in einem Pub gekommen. Es war bestimmt ein Pub, in dem ich mich mit den Freunden getroffen habe, mit denen ich später die Absinth-Importfirma gründete. Der Absinth war ein Kneipengespräch, das in die Tat umgesetzt wurde. Im Pub zetteln wir Revolutionen, Komplotte, Betrügereien an. Der Pub ist ein sicherer Ort für Banditen. Pubs bieten die Freiheit der Rede und selbst des Handels: entfernt vom wachsamen Blick der Behörden tauschen Diebe gestohlene Dinge, inoffizielle Geschäfte werden getätigt, Drogen gekauft und verkauft und eine steuerfreie, nur auf Bargeld beruhende Schwarzmarktwirtschaft blüht.
    Die Pubs entstanden aus einer formlosen Sitte einzelner Hausbesitzer im Mittelalter: Sie öffneten müden Reisenden ihre Türen und boten ihnen Bier, Schinken und ein Bett für die Nacht an. Wir wissen aus Izaak Waltons The Compleat Angler , dass eine gute Schenke im siebzehnten Jahrhundert ihr eigenes Bier braute, deine mitgebrachten Fische für dich zubereitete, nach Lavendel duftende Betttücher bot und meistens auch ein hübsches Mädchen lustige Volkslieder vortragen ließ. Seit damals besteht das Wesen des Pubs, der früher noch ungekürzt »public house« hieß, in seiner Öffentlichkeit: er ist demokratisch, jeder darf hinein, er ist der Club des

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