Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
lag in einem Sarg.
Er japste nach Luft und war augenblicklich schweißgebadet. In der Schule hatte er mal erlebt, wie ein Klassenkamerad hyperventilierte. Jetzt befürchtete er, ihm könne das Gleiche geschehen oder, schlimmer noch, die Luft könne plötzlich verbraucht sein und er müsste hier jämmerlich ersticken.
Er versuchte, sich an den Physik- oder Biologieunterricht zu erinnern. Wie viel von diesem verdammten Sauerstoff brauchte ein Mensch? Wie lange konnte er mit dieser Badewanne voll hier auskommen?
Er stemmte die Hände gegen die splittrige Fläche und versuchte, den Sargdeckel anzuheben. Seine Arme zitterten. Sein Rücken schmerzte. Aber es bewegte sich gar nichts.
Er trat verzweifelt um sich. Dabei verletzte er seinen rechten Fuß. Der Schmerz jagte die Wirbelsäule hoch. Er spürte ihn bis in die Nase hinein.
Aber da war noch etwas. Etwas, das ihm trotz allem Mut machte. Er lag ganz still und weinte. Die Geräusche klangen so hohl, als würde er sich nicht unter der Erde befinden.
Ganz vorsichtig klopfte er mit dem Knöchel seines Zeigefingers gegen das Holz.
Tock, tock.
Keine Frage, dieser Sarg musste sich in einem Raum befinden. In der Leichenhalle? In einem Krematorium? Jedenfalls nicht unter der Erde. Obwohl er natürlich nicht wusste, wie sich Holz anhörte, wenn man in einem Sarg unter der Erde lag, stellte er sich die Geräusche dumpfer vor. Alles hätte gedämpfter sein müssen. Und gerade waren da doch diese Schreie gewesen. Hatte er sie nur geträumt, oder waren die wirklich dagewesen? Waren es vielleicht gar seine eigenen Schreie, die ihn geweckt hatten?
Er lag jetzt ganz still, atmete nur und lauschte.
Er hörte Stimmen.
Er war also noch nicht erledigt.
Er konnte nicht verstehen, was dort gesprochen wurde, aber es waren männliche Stimmen. Der eine hart und dominant, der andere protestierend und weinerlich.
Sprach da ein Chef mit seinem Untergebenen? Oder ein Täter mit seinem Opfer?
In seiner Phantasie stiegen Bilder auf. Was, wenn er sich in einem Krematorium befand? Deshalb dieser primitive Holzsarg. Warum sollte man einen schönen, lackierten, innen mit Stoff ausgekleideten Sarg ins Feuer schieben, wenn am Ende sowieso nur Asche übrig blieb?
Diese Holzkiste war nicht für eine pompöse Beerdigung gedacht. In so was wurde man verscharrt oder verbrannt.
Waren das die Stimmen der Männer, die den Ofen anheizten?
Die Hänsel-und-Gretel-Geschichte, erzählt von Oma Helga, kam ihm in den Sinn. Jedenfalls hatte er genügend Luft. Das Atmen tat weh. Er hatte das Gefühl, unzählige Splitter im Körper zu haben. Vor allem die Wunden in Gesicht und Rücken schmerzten. Dann hatte er nur noch einen Gedanken: Mama. Bitte, Mama, hilf mir.
So viele Menschen gleichzeitig hatte Rupert noch nie in der Polizeiinspektion Aurich gesehen. LKA ler und BKA ler traten sich gegenseitig auf die Füße.
Aber er wurde im Flur von POR Diekmann aufgehalten. Sie sprach mit eiskalter Stimme und wirkte auf ihn so ausdruckslos wie eine Schaufensterpuppe.
»Was wollen Sie noch hier? Ihre Kündigung ist an höchster Stelle sehr ernst genommen worden.« Sie guckte nach oben, als hätte er bei Gott persönlich gekündigt. »Ich kann nichts mehr für Sie tun. Sie haben sich hier selbst rauskatapultiert. Geben Sie Ihre Waffe und Ihren Dienstausweis bei der Kollegin Wolters ab und verschwinden Sie.«
»Ich habe diese Kündigung nicht geschrieben, verdammt!«, brüllte Rupert.
»Erzählen Sie nicht so einen Mist«, zischte Diekmann. »Ihre IP -Nummer wurde identifiziert. Die können Ihnen sogar sagen, von wo in Ihrer Wohnung aus Sie die E-Mail abgeschickt haben.«
Rupert klatschte mit der flachen Hand gegen die Flurwand. Ein Bild von Ole West, das dort seit Jahren an einem krummen Nagel hing, verrutschte.
»Verdammt! Verdammt!«, fluchte er und trat heftig mit dem Fuß auf. »Das darf doch nicht wahr sein! Dieser Killer schickt uns Fotos, und wir können nicht mal sagen, in welchem Land er sich befindet, obwohl alle mit ihm locker kommunizieren können, aber bei mir kann die IP -Adresse festgestellt werden, und ich steh nackt und wehrlos an der Wand. Das ist doch alles nur ein einziger Fake! Merkt ihr das denn nicht? Wie bescheuert muss man eigentlich sein, um bei uns ganz oben anzukommen?«
Er deutete nach oben, als würde auch er vom Himmel sprechen.
Diekmann zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie damit nichts zu tun haben, dann bringen Sie die Sache ins Reine. Ich kann Ihnen jedenfalls nicht mehr
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