Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
gesunken?«
»Du verstehst das falsch, Beate, ich …«
»Ist sie nicht schon zu alt für dich? Die ist doch mindestens schon vierzig.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Na ja, alle Ingrids, die ich kenne, sind mindestens vierzig. Wenn nicht sogar fünfzig. Mit fünfundzwanzig heißt man doch heutzutage nicht mehr Ingrid, oder?«
»Wie kommst du denn auf Ingrid?«
Sie zeigte ihm die Karte, die sie aus den Blumen gefischt hatte:
In Liebe für Ingrid, die tollste Frau der Welt.
Dann warf sie ihm die Rosen vor die Füße und stolzierte die Treppe hoch wie eine Präsidentin zum Staatsempfang.
Eine Weile stand Rupert betreten herum und hörte seinen Whiskyvorrat rufen. Seine Ruhrgebietsmutter hatte zwar nie Whisky getrunken, aber von ihr kannte er den Spruch:
Hast du Kummer mit die deinen, trink dich einen.
Das waren die Lebensweisheiten, mit denen sie ihn großgezogen hatte. Und auch, wenn er glaubte, diesen Spruch längst vergessen zu haben, seine Whiskyflaschen erinnerten sich daran und sangen ihn jetzt im Chor. Doch Rupert blieb standhaft, wie ein Mann, der ein neues Leben beginnen will. Er lief die Treppe hoch und klopfte an Beates Tür.
»Bitte! Mach auf! Ich muss mit dir reden. Ich hatte einen verdammt harten Tag. Dann bin ich noch gut acht Stunden Auto gefahren und …«
Er trat fest mit dem Fuß auf. »Mein Gott, ich hab den Blumenstrauß … gefunden, im Rahmen einer Ermittlung, und ihn dir dann mitgebracht. Ich wollte ihn nicht so auf der Straße liegenlassen, und wo kriegt man um die Zeit noch Blumen her? Ich wollte dir aber unbedingt welche mitbringen. Ja sollte ich denn auf dem Friedhof welche klauen gehen?«
Sie hatte offensichtlich direkt hinter der Tür gestanden. Jetzt riss sie sie auf und brüllte ihn an: »Ich will aber keine Blumen geschenkt bekommen, die du gefunden hast! Ich will auch nicht, dass du sie mir klaust, obwohl ich das schon wesentlich romantischer finde. Aber ich möchte von dir Blumen bekommen, die auch für mich gedacht sind, mit einer Karte, auf der mein Name steht und nicht der von irgendwelchen anderen Weibern. Herrje, wie blöd bist du eigentlich?«
»Ich dachte«, sagte er, »du freust dich. Ich hätte ja auch in Bochum übernachten können. Stattdessen bin ich nach Hause gefahren. Ich wollte …«
Es fiel ihm schwer, es zu sagen.
Sie sah ihn streng an und hoffte, dass er es schaffen würde. Und er kriegte es tatsächlich hin: »Ich wollte bei dir sein.«
Dann umarmten sie sich heftig und wollten sich eigentlich küssen, aber ihre Brille rutschte und war im Weg, und dann waren sie zu stürmisch und ihre Zahnreihen knallten gegeneinander. Ihr Kuss ging schief, als müssten sie noch lange üben. Beide begannen zu lachen, und das schaffte eine tiefe Gemeinsamkeit und das Gefühl zusammenzugehören.
Später saßen sie in der Küche. Beate brühte Schwarztee auf. Sie hatten noch nie um diese Zeit Tee getrunken. Es war, als bräuchten sie keinen Schlaf. Beate würfelte ein Stück holländischen Käse, den sie mit den Fingern aßen, während Rupert von seinen Ermittlungen erzählte. Er gab hier geheimes Polizeiwissen preis, und damit zog er Beate tief ins Vertrauen. Sie wusste das zu schätzen und hörte ihm zu. Sie wollte ihm Verständnis entgegenbringen, und je schlimmer der Fall war, den er schilderte, umso mehr gelangte sie zu der Überzeugung, dass er vielleicht manchmal das Abenteuer mit einer jungen Frau brauchte, um die schlimmen Bilder aus dem Kopf zu verbannen, die er während seines beruflichen Alltags sah.
Sie wehrte sich innerlich gegen diese Vorstellung und phantasierte in sich hinein, sie könne vielleicht diese Bilder aus seinem Kopf verdrängen oder sie erträglicher für ihn machen. Doch nach einer Weile hatte sie das Gefühl, von ihm an der Nase herumgeführt zu werden. War das, was er ihr hier erzählte, überhaupt nicht sein beruflicher Alltag? Hatte er nur zusammen mit seiner Ingrid ferngesehen und schilderte ihr jetzt Sachen, die er gar nicht erlebt hatte, sondern nur vom Bildschirm kannte?
Er spürte, dass sich ihre Haltung zu ihm plötzlich veränderte. Sie zog ihre Hand zurück, wirkte kälter, sah ihn nicht mehr liebevoll an, sondern musterte ihn mit diesem Röntgenblick, den er schon immer gehasst hatte.
»Du nimmst mich auf den Arm«, sagte sie. »Du suchst eine Entschuldigung für deine Eskapaden, stimmt’s?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, wie kommst du denn darauf? Ich weiß gar nicht, was du willst! Im Grunde darf ich dir das
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