Ann Pearlman
vielen Wochen. »Anfangs war es nicht so.« Ich treffe die nächste Entscheidung. »Aber mein Leben ist wertvoll.«
»Ja.« Tara dehnt das Wort wie zu einem langen Seufzer. »Von uns kann das keiner entscheiden, das kannst nur du. Warum denkst du eigentlich, dass das Leben vorhersehbar sein sollte?«
Aber dann beantwortet sie ihre Frage selbst: »Wahrscheinlich war es für dich so, bevor dein Dad gestorben ist.«
Nach einem kurzen Schweigen fährt sie fort: »Als ich auf die Welt kam, war alles schon unberechenbar geworden. Ich sollte mich nicht in Aaron verlieben und Rap-Sängerin werden. Aber ich habe gelernt, von der Unberechenbarkeit des Lebens zu profitieren.«
»Für mich ist es berechenbar, dass Menschen, die ich liebe, zu früh sterben«, erwidere ich. »Ich dachte, über meinem Kopf hängt das Pech wie eine dunkle Wolke. Erst Dad. Dann meine Babys. Mia. Troy. Dann ist Rachel fast ertrunken. Aber als David gesagt hat, dass wir nur dieses Leben haben und diese Atemzüge, war ich irgendwie beeindruckt.« Ich schüttle den Kopf, nehme meine Tasse und trinke den letzten Schluck süßen Kaffee. »Ich danke dir.«
»Mir?« Tara klingt überrascht.
Auf einmal habe ich Tränen in den Augen. »Du liebst mich.« Als ich das sage, wende ich mich ihr zu und spüre ihre Liebe zu mir. Ich lasse sie in mich eindringen. Ich erkenne sie nicht nur. Tara war immer für mich da, aber ich habe sie einfach nicht beachtet. Auch jetzt ist sie da. Sie hat ihre ganze Tour mir zuliebe umarrangiert. Und ich habe sie für selbstverständlich genommen, ich habe es für selbstverständlich genommen, eine Schwester zu haben. Sie hat alle einbezogen, ihr ganzes Leben. Aaron, Smoke, T-Bone und Red Dog, obwohl das ihre Tour viel komplizierter gemacht hat. Vor allem für Smoke, der den Möbelwagen gefahren hat und dann aufgetreten ist. Sogar Levy war nett zu mir. Jetzt hat Tara eine Karte auf dem Schoß und späht aus dem Fenster nach Schildern, sie lotst uns nach Hause. Im Profil ist ihr Gesicht so glatt mit ihrer Stupsnase.
»Ich liebe dich.« Da, jetzt ist es raus. Ich sage es, während ich die Straße im Auge behalte, die uns nach Hause führt.
»Wie bitte?«
»Ich bin froh, dass du meine Schwester bist. Danke, dass du mir hilfst. Ohne dich, die Crew und Allie hätte ich diesen Umzug nicht geschafft, sondern wäre in Venice hocken geblieben und in meinem Kummer versunken. Und ich hätte Rachel mit hineingezogen.« Meine Hände umklammern das Steuer, ich starre auf die Straße. Die Bäume sind kahl, ich sehe, dass es hier schon Schnee gegeben haben muss. Wir sind bald zu Hause.
Taras Augen sind voller Tränen, aber auf ihrem Gesicht liegt ein strahlendes Lächeln, und sie sieht aus wie ein kleines Mädchen – wie damals auf dem Magic Mountain mit den orangefarbenen Lichtern. Sie war für mich da und hat darauf gewartet, dass ich sie akzeptiere. Das sehe ich jetzt ganz deutlich.
»Ich dachte, ich wäre bloß eine Nervensäge.«
»Na ja, das kannst du auch sein«, lache ich. »Nein, eigentlich bist du das nicht mehr. Du bist erwachsen geworden – wir beide.«
»Meinst du?« Sie lacht ebenfalls. »O nein, das wollen wir nicht. Sonst verwandeln wir uns noch in Mom.«
»Ach, das wäre doch gar nicht so schlimm«, sagen wir beide wie aus einem Mund und lachen wieder. Ich dachte eigentlich, ich hätte vergessen, wie das geht.
»Ich glaube, ich habe dich gehasst«, gestehe ich nach einer kurzen Pause und schlucke schwer. »Deine pure Existenz, weil du meine gemütliche Zweisamkeit mit Mom zerstört hast. Als ich Troy kennengelernt habe, war ich endlich wieder Teil einer Zweisamkeit. Und jetzt …« Daran habe ich noch gar nicht gedacht! »Wow. Jetzt sind es Rachel und ich. Wir sind auch zu zweit.«
»Ja. Und sie ist so süß, so lieb.«
»Levy auch. Und hast du gemerkt, dass er lächelt wie Mom?«
»Na klar.«
»Es ist so witzig, ihr Lächeln auf seinem kleinen braunen Jungengesicht zu sehen.«
Sie lacht.
Ich bin fest entschlossen, mich nicht mehr abzuschotten von der Liebe, die mich umgibt, und drücke Taras Arm.
Sie nimmt meine Hand, und ich frage: »Was hast du mit King jetzt eigentlich vor?«
»Ich will Aaron. Ich hatte Angst, mir einzugestehen, wie sehr ich ihn liebe. Wie sehr ich an ihm hänge. Allein der Gedanke, ihn zu verlieren, tut so wahnsinnig weh. Ich glaube, ich bin dir viel ähnlicher, als ich immer zugeben wollte. Wenn ich das tue, was ich wirklich will, und das Schicksal mir wohlgesonnen ist, wird mein
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