Ann Pearlman
loszuwerden.
Als wir in den Wartebereich zurückkommen, ist Troy nicht mehr da. Die traurige Schwester führt uns in seine Kabine, wo ein Pfleger gerade seinen Blutdruck misst. Kurz darauf piept das Thermometer in Troys Mund. Man hat ihn mit einer Thermodecke zugedeckt. Die Schwester nimmt das Thermometer und liest es ab.
»39,9.« Der Pfleger schreibt den Wert auf und sagt: »Ihr Blutdruck ist auch ziemlich niedrig. Der Arzt kommt sofort.«
»Ich hab in das große Töpfchen Pipi gemacht, Daddy«, berichtet Rachel. »In so eins, wo du und Mommy auch drauf geht.«
»Ich bin stolz auf dich, Süße«, sagt Troy und ringt sich ein Lächeln ab.
»Daddy ist krank«, stellt Rachel noch einmal fest, denn sie lässt sich von seiner gespielten Begeisterung nicht täuschen.
»Ja. Aber ich bin trotzdem stolz auf dich, und wenn ich nicht krank wäre, würde ich vor Freude auf und ab hopsen«, erklärt er ihr.
Als sie versucht, auf seine Krankenhausliege zu klettern – sie benutzt die Querstreben als Leiter –, sagt er schnell: »Nein, Süße. Ich möchte wirklich nicht, dass du das kriegst, was ich habe.«
In diesem Augenblick kommt eine Frau mit roten Locken herein, die ihr weit über die Schultern fallen. »Hallo, ich bin Doktor Shapiro. Dann erzählen Sie mir doch bitte mal was über diese wunde Stelle.«
Troy berichtet, während die Ärztin ihn mit behandschuhten Fingern untersucht. »Wir müssen eine Biopsie machen, um das Gewebe zu testen.«
»Glauben Sie, es ist ein Spinnenbiss? So sah das Ding für meine Augen nämlich anfangs aus.«
Dr. Shapiro klappt auf dem schmalen Bord an der Wand einen Laptop auf. »Könnte sein.« Dann studiert sie Troys Akte. »Wie ich sehe, hatten Sie im September eine Nebenhöhlenentzündung.«
Troys Sommerschnupfen hat im Juni angefangen, und im August war seine Nase immer noch verstopft.
»Ja, Dr. Grey hat mir ein Antibiotikum gegeben, Cephalosporn, glaube ich.« Troy versucht sich aufzusetzen und in dem kleinen Raum mehr Autorität und erwachsene Präsenz auszustrahlen. »So hieß das Zeug doch, oder?«, fragt er mich.
»Ja, hier steht es«, sagt Dr. Shapiro und tippt auf den Bildschirm.
Sie ist schätzungsweise in unserem Alter, ihre Nägel sind poliert und klar lackiert, kleine Goldkreolen schmücken ihre Ohren. Sie steht auf, um sich Troys Schulter noch einmal anzusehen. Die Schwellung hat noch zugenommen, seit wir von zu Hause aufgebrochen sind. Die Haut ist dunkelrot, ein dickflüssiges Blut-Eiter-Gemisch quillt aus der wunden Stelle und rinnt in Troys lockigen Brusthaare. Das Gesicht der Ärztin bleibt glatt und faltenlos, als sie fragt: »Können Sie den Arm heben?« Ihr ist weder Sorge noch Ekel anzumerken.
Troy hebt den Arm, aber nur bis auf Brusthöhe.
»Nun, wir brauchen zuallererst die Biopsie und ein bisschen Blut, um zu sehen, was für eine Infektion Sie da haben. Inzwischen geben wir Ihnen eine Infusion mit Vancomycin, einem Antibiotikum.« Dann wendet sie sich an mich. »Haben Sie beide offene Wunden oder ähnliche Pickel wie Ihr Mann?«
»Ich glaube nicht.« Wenn ich das nächste Mal dusche, werde ich mich trotzdem gründlich untersuchen. »Und bei Rachel habe ich auch nichts bemerkt.«
»Hier hab ich ein Aua«, mischt Rachel sich ein, hält sich an der Kante der Liege fest und hebt das Knie hoch. Die Ärztin betrachtet eingehend die dünne weiße Narbe eines vor langer Zeit verheilten Kratzers.
»Das hat bestimmt wehgetan.«
Rachel nickt, und bei der Erinnerung werden ihre Augen tränennass.
Die Ärztin geht an ein Schränkchen, holt ein Chirurgie-Kit heraus, verlässt kurz den Raum und kommt mit einer Spritze zurück. »Das wird den Schmerz eine Weile betäuben«, sagt sie zu Troy.
Kurz darauf erscheint der Pfleger mit einem Infusionsständer und fragt: »Welche Seite wollen Sie, rechts oder links?« Dabei schwenkt er den Infusionsschlauch vor und zurück.
»Links, denke ich.« Troy legt sich zurück auf das flache Kissen, und da seine Brust entblößt ist, sehe ich, dass das orangerote Blut-Eiter-Rinnsal sich seiner Brustwarze nähert. Seine Stimme ist schwach, und die hellgrüne Decke, die seinen Unterleib und seine Beine bedeckt, lässt ihn kleiner wirken. Beinahe, als wollte er in die Matratze versinken.
Ich habe Troy kennengelernt, als wir beide fünfzehn waren. In diesem Sommer waren wir beste Freunde. Er verbrachte viel Zeit bei mir zu Hause, als wären wir Bruder und Schwester, nur dass Tara sich auf seinem Schoß fläzte und Mom nie an
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