Ann Pearlman
bringen sie es in Gang. Ein Stück weiter weg steht ein Karussell mit Tigern, Elefanten, Alligatoren, Zebras, riesigen Rotkehlchen und Hunden. Die Tiere haben noch einen Großteil ihrer Farbenpracht, aber einiges ist auch abgeblättert, so dass die Figuren irgendwie fleckig aussehen.
Ich strecke mich am Ufer des Sees aus. Das Gras ist spröde und piekt. Ich schlage die Beine übereinander, lege den Kopf auf die Hand und die andere Hand auf die Brust. Rachel kommt angerannt und lässt sich neben mir nieder, den Kopf auf meiner Schulter.
Nach einer Weile schließt sie die Augen und schmiegt sich ganz eng an mich, damit ihr nur ja nichts von dem entgeht, was ich ihr geben kann.
Eigentlich müsste die Sonne jetzt hoch über unseren Köpfen stehen, aber es ist bewölkt.
»Das ist unheimlich«, sagt Rachel.
»Ja.« Meine Wangen sind nass von Tränen, der große Metallmann erinnert mich daran, wie weit weg und wie unerreichbar Troy für mich ist.
Ein riesiger Vogel pickt die Erde, fächelt die Luft mit seinen Federn und steigt graziös wie eine Ballerina über ein Grasbüschel hinweg. Dann reckt er den Hals, beäugt uns und zwinkert, als wundere er sich über uns, seltsame Kreaturen in diesem blumenlosen Wald. Mit anmutigen Trippelschritten geht er an uns vorbei, und sein langer Hals bewegt sich wellenförmig.
Der Vogel wirkt genauso fehl am Platz wie alles andere hier.
»Schaut euch den Strauß an«, sagt Tara und zeigt auf das Tier. »Was hat der denn hier zu suchen?«
Wir sehen ihm zu, wie er herumstolziert, den Hals reckt und blinzelt.
Langsam entspannt Rachel sich. Der Metallmann wacht über uns, und sie schläft tatsächlich ein. Einfach so. Als hätte sie nur meine Arme gebraucht, um sich geborgen zu fühlen. So liegen wir nebeneinander, während die anderen um den See spazieren. Ich lausche auf Rachels Atem.
Auf einmal fährt sie schreiend hoch.
»Schätzchen?«
»Ich hab was Schlimmes geträumt«, schluchzt sie und reibt sich mit den Fäusten die Augen. »Wir haben zu Abend gegessen. Daddy war auf seinem Stuhl und hat gesagt: ›Ooooh, meine Süße, ich bin so stolz auf dich.‹ Es gab Makkaroni.«
Beruhigend streichle ich ihren Rücken. »Das klingt doch ganz schön.«
»Aber es ist nicht wahr!« Das letzte Wort schreit sie heraus. »Weil Daddy nicht mehr da ist.«
Unser Abendessen. Ich wusste gar nicht, wie schön es war, einfach mit meiner Familie am Tisch zu sitzen. Und jetzt ist es für immer vorbei.
Der Strauß stakst zwischen den starren Engeln hindurch und zuckt bei jedem Laut kurz zusammen. Ein Engel hält die Hand auf, als erwarte er ein Geschenk. Aber die Engelsflügel sind gefährlich gekräuselt und angespannt.
»War ich böse, Mommy?«
Sie stellt genau die Frage, die ich mir selbst stelle. Nachdem unser Baby tot auf die Welt gekommen war, hat Troy mir Eis gebracht und mich damit gefüttert. Er hat mir über die Stirn gestrichen, mit mir geweint. Als er und Mom gegangen waren, lag ich allein im Zimmer. In den Zimmern neben mir hörte ich Babys weinen. Ich sah sie in ihren Bettchen, wenn sie zu ihren Müttern gebracht wurden. Meine Brüste taten weh. Ich würde alles geben, ich würde alles tun für ein gesundes Baby. Das ist mein einziger Wunsch. Ein gesundes Baby. Ich bin bereit, auf alles andere zu verzichten. Nur das wünsche ich mir . Unter Tränen flehte und betete ich.
Das Geräusch der weinenden Babys erinnerte mich daran, wie Tara in ihrem Bettchen gelegen und aus voller Brust gebrüllt hat. Sie war wütender und verzweifelter als die anderen Säuglinge, die in ihren Bettchen so schnell wie möglich zu ihren Müttern gefahren wurden. Im Jahr davor, als ich in der dritten Klasse war, hatten die Mädchen in meiner Klasse Mom zur hübschesten Mutter gewählt.
Aber dann kam Tara. Als ich so dalag, mit einem schmerzenden Dammschnitt und ohne Baby, das die Schmerzen vielleicht gelindert hätte, mit vom Weinen geschwollenen Augenlidern, erinnerte ich mich plötzlich an eine bestimmte Nacht. Ich kam von der Schule nach Hause, kurz bevor Mom mit Tara eintrudelte, die damals ungefähr zwei Monate alt gewesen sein muss. Damals war Mom Managerin in einem Handyladen, Verizon, glaube ich. Sie umarmte mich mit einem Arm, knöpfte sich hastig die Bluse auf, öffnete eine Lasche an ihrem BH und begann Tara zu stillen.
Ich schaute weg. Moms Gesicht war aufgedunsen, ihre Arme waren dick und schwabbelig, und ihr Bauch hatte dort, wo Tara gewesen war, einen dicken Hautsack. In diesem Zustand
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