Ann Pearlman
weiter, während ich sie aus der Wippe holte und auf meinen Schoß bugsierte.
Als ich ihr den Sauger in den Mund steckte, war sie viel zu sehr mit Brüllen beschäftigt, um zu merken, dass ich ihr gab, was sie verlangte.
Mir kommt es so vor, als wäre das bis heute noch so bei ihr. Sie kapiert überhaupt nicht, dass sie bekommt, was sie möchte, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt ist, dafür zu sorgen, dass sie es auch ja kriegt.
Schließlich spritzte ich ihr die Milch unserer Mutter in den Mund, und da begriff sie endlich und schloss die Lippen um den Sauger.
Stille kehrte ein. Nach einer Weile gab sie zwischen den Schlucken ein leises Summen von sich.
Bill Cosby war vorbei. Ich hatte Dr. Huxtables Lektion verpasst.
Inzwischen hatte Tara die Augen wieder geschlossen, das Saugen war langsamer geworden, und sie hatte die Arme ausgebreitet. Wenn sie sich an mich schmiegte, fühlte sich das gut an, denn sie steckte in einem weichen rosa-weißen Fleece-Strampler. Ja. Diese eine Sekunde war ich ganz zufrieden damit, meine Halbschwester mit der Milch meiner Mutter zu füttern.
Dann fiel lautstark die Tür ins Schloss. Stephen war heimgekommen, und Tara begann wieder zu brüllen.
»Was machst du denn da mit ihr?«, wollte er wissen, und seine dicken Augenbrauen zuckten.
»Nichts. Ich hab sie bloß gefüttert.«
Er riss sie mir weg.
»Na, dann mach es wenigstens richtig«, schimpfte er, nahm mir die Flasche aus der Hand und stopfte Tara den Sauger in den Mund. »Hör auf damit, Baby«, befahl er.
Sie fing an zu trinken, und er sagte: »So ist’s recht.«
Er roch seltsam. Ich kannte diesen Geruch nicht, ich glaube, ich hatte ihn vorher noch nie gerochen.
Schließlich drückte er mir Tara wieder in den Arm und verschwand.
Ich legte Tara in ihr Bettchen.
Dann ging ich in mein Zimmer, um weiter Das geheime Leben der Puppen zu lesen. Ich erfuhr, wie Kristy endlich den zweiten Ehemann ihrer Mutter akzeptierte, aber ich wusste, dass das mit Stephen nicht passieren würde. Ich hatte es versucht, aber er kommandierte mich nur rum. »Füße vom Sofa!« »Ich kann deinen Walkman bis hier hören, bis du dreißig wirst, bist du taub.« »Mein Gott, Marnie, lässt du sie so weggehen? In einem hautengen T-Shirt und Shorts?«
Hatte er überhaupt irgendetwas Gutes an sich? Na ja, er sah gut aus, las eine Menge und wusste viel. Aber er dachte, er wüsste alles. Er brachte mir Schach bei und schlug mich bei jeder Partie. »Ich lass dich bestimmt nicht absichtlich gewinnen. Dann lernst du ja nichts«, sagte er und zog eine Augenbraue hoch. Sogar die guten Sachen an ihm hatten eine schlechte Seite.
Ich war am Einschlafen, und Stephen duschte gerade, als Mom heimkam und die Treppe hinaufrannte. »Ich weiß, wo du warst«, schrie sie Stephen an. »Wie kannst du nur? Man riecht sie noch an dir!«
Dann knallte die Schlafzimmertür zu.
»Du bist nicht mehr du selbst«, hörte ich ihn mit lauter, ruhiger Stimme zu Mom sagen.
Ein paar Minuten später krachte die Haustür hinter ihm ins Schloss, und ich hörte Mom schluchzen.
Ja, dachte ich. Schick ihn weg, dann ist es wieder wie früher. Damals, als Mom mich umarmte, sobald sie mich sah, sich vor mich hinkniete, mich hochhob und im Kreis herumschwang. Wie geht es meiner schönen Sky? Wie geht es meinem süßen kleinen Mädchen? Sie kitzelte mich am Bauch, bis wir beide Tränen lachten. Wenn eine meiner Zeichnungen ans Schwarze Brett in der Schule gehängt wurde, feierten wir den Erfolg mit einem Ausflug in die Eisdiele.
Dann hörte ich, wie sie auf Zehenspitzen in mein Zimmer kam, und ich stellte mich schnell schlafend. Vielleicht würde sie mich küssen. Oder mit mir kuscheln.
Aber in diesem Augenblick wachte Tara schreiend auf, und ich wusste, dass es nie wieder so sein würde, wie es einmal war.
Mein Leben war vorüber.
Daran dachte ich in der Nacht, nachdem mein Baby tot auf die Welt gekommen war.
Kurz darauf war Troy wieder da, mit einem riesigen Strauß Tulpen und Narzissen, Joy- Parfüm und Cherry Garcia- Eis.
»Wir machen einfach weiter, Sky. Wir halten uns an die Statistik, und irgendwann sind wir bei den wunderbaren fünfzig Prozent«, sagte er, küsste mich auf die Stirn und legte den Kopf neben meinem aufs Kissen.
Vielleicht habe ich damals geglaubt, mein Leben wäre vorbei, aber in Troy fand ich es wieder.
»Wir werden unser Baby bekommen, versprochen«, sagte er. Und so war es auch. Irgendwann war Rachel da.
Er war so gut zu mir.
Daran denke ich
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