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Ann Pearlman

Ann Pearlman

Titel: Ann Pearlman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apfelblüten im August
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sei denn, du bist schwarz, dann bist du nicht eingewandert, sondern gestohlen und verschleppt worden«, gibt Tara zu bedenken, und ich weiß, dass sie an Aaron denkt.
    Allie nickt, dass ihre Ohrringe klimpern. »Also stellt euch das mal vor – wir befinden uns mitten in der Großen Depression, die eine Schwester hat einen jüdischen Arzt geheiratet, ist zum Judentum übergetreten und lebt in der jüdischen Gemeinde, die andere Schwester ist deutschfreundlich.«
    Wieder lehnt Allie sich zurück. Ich schaue zu Tara, die mit großen Augen dasitzt, die Beine übereinandergeschlagen, die Hände ineinander verschränkt.
    »Es wurde komplizierter. Pup, mein Urgroßvater, verlor seinen Job, eine Woche bevor er pensionsberechtigt gewesen wäre.« Allie zuckt die Achseln und schüttelt den Kopf. »Daraufhin schlüpften Mum und er bei Nana unter. Dann starb Nanas und Almas jüngste Schwester im Kindbett, und Nana und Poppy, mein Großvater, haben deren Baby mitsamt seiner etwas älteren Schwester adoptiert.«
    Allie hält kurz inne, um eine Fußnote anzubringen, und senkt die Stimme. »Die beiden wurden übrigens unter der Bedingung adoptiert, dass die Mädchen ihren Nachnamen behalten und christlich erzogen werden«, erklärt sie.
    »Und was ist dann passiert?«, fragt Tara gespannt.
    Allie schlägt wieder die Knöchel übereinander, stützt die Ellbogen auf die Knie und sieht uns an. Ihre Zehennägel sind knallrot lackiert. »Mein jüdischer Großvater hat also all diese Menschen unterstützt – die ganze Familie seiner deutschen Frau. Tante Alma hat sich unterdessen immer mehr für die Nazis engagiert und auch die Idee vertreten, dass Deutschland unter seinem Führer weiter zur Macht aufsteigen sollte. Sie begann, den deutschen Devisenhandel zu unterstützen, und reiste mehrfach mit Koffern voller Geld von Amerika nach Deutschland und wieder zurück.«
    Das Kerzenlicht flackert über unsere Gesichter. Die Jalousien sind geschlossen, die Nacht muss draußen bleiben. Ich erinnere mich, wie ich in der Schule Stammbäume gezeichnet und mich dabei immer auf die Familie meines Vaters konzentriert habe, weil sie mir geheimnisvoller erschien. Er war irisch-katholisch, mehr wusste ich eigentlich nicht. Der Familie meiner Mutter schenkte ich keinerlei Beachtung. Der deutschen Seite. Meine Mom war Alltag, also uninteressant.
    »Ihr müsst euch also vorstellen: Der Zweite Weltkrieg steht vor der Tür – und übrigens auch meine Geburt –, und da sind diese beiden Schwestern«, fährt Allie fort, »und die eine ist überzeugte Nationalsozialistin und die andere Jüdin.« Sie hebt erst die eine, dann die andere Hand.
    »Dann kam Alma eines Tages zu Nana, in der Zeit, als es noch danach aussah, als würden die Nazis den Krieg gewinnen und auch die Vereinigten Staaten besiegen. ›Es gibt schon Listen mit all den Juden‹, erklärte Alma meiner Großmutter. ›Aber du kannst deine Kinder retten. Annulliere deine Ehe und leugne, dass sie jüdisches Blut haben. Aber bitte tu es bald, sonst ist es womöglich zu spät.‹«
    Allie schluckt und senkt den Kopf. Tara und ich schauen uns an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Tara und ich in einem Krieg auf gegnerischen Seiten stehen. Unser Streit, der uns heute Vormittag noch so wichtig vorkam, verliert zunehmend an Bedeutung.
    »Was ist dann passiert?«, will Tara wissen.
    Allie hebt den Kopf und räuspert sich. »›Ich werde mich nicht zur Hure machen und meine Kinder zu Bastarden degradieren‹, hat Nana erklärt. Alma drängte weiter. ›Mit deinem Stolz setzt du ihr Leben aufs Spiel.‹ Aber Nana blieb bei ihrer Entscheidung.«
    »Haben die beiden weiter Kontakt miteinander gehabt?«, frage ich.
    »Etwa um diese Zeit brach der Zweite Weltkrieg aus. Alma sympathisierte mit den Nazis, aber sie besuchte auch weiter Mum, ihre Mutter. Ich erinnere mich noch an ein Weihnachten, als wir alle dort waren. Ich war sehr klein, es war noch im Krieg oder ganz kurz danach. Als Alma eintraf, gingen Mum und sie in Mums Schlafzimmer. Aber Alma kam allein wieder heraus.« Allies Ohrringe schimmern im Kerzenlicht.
    Draußen fährt ein Auto auf den Parkplatz, das Licht der Scheinwerfer gleitet durch die Schlitze in der Jalousie, und für einen Moment sieht die Wand aus, als wäre sie gestreift.
    »Jedenfalls«, nimmt Allie den Faden wieder auf, »jedenfalls saß Alma auf dem dick gepolsterten Ohrensessel. Als ich von der Toilette kam, sah ich, dass mein Vater sehr zornig war, seine Zeitung raschelte

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