Ann Pearlman
laut, wenn er umblätterte, und Poppy lief aus dem Zimmer, stapfte lautstark die Treppe rauf und knallte oben die Tür hinter sich zu.« Allie trinkt einen Schluck Wein.
»Alma weinte, weil ihre Mutter, die von Juden versorgt wurde, so alt und gebrechlich geworden war, aber sie unterstützte gleichzeitig ein Regime, das es darauf abgesehen hatte, einen Teil ihrer Familie zu ermorden – denn es waren ja auch ihre Verwandten, ob ihr das nun gefiel oder nicht.«
Alle schweigen. Aus Taras Haarspange sind ein paar helle Strähnen herausgerutscht. Sie wirkt so unscheinbar. Überhaupt nicht wie eine Berühmtheit. Sie ist einfach nur meine kleine Schwester.
Ich muss an etwas denken, was Tara bei unserem Streit gesagt hat – dass Aaron, Smoke und der Rest der Crew Rachel und mir helfen wollen. Aber ich bin einfach nicht sicher, ob ich möchte, dass sie mir helfen.
»Das Leben hat die beiden Schwestern auf völlig unterschiedliche Wege geführt – zum Teil wegen der Männer, die sie geheiratet haben«, fährt Allie schließlich fort. »Nana hat es geschafft, zu akzeptieren …« Allie unterbricht sich und sucht nach einem treffenderen Wort. »Nein, sie hat Almas Überzeugungen nicht akzeptiert, aber sie hat sie zumindest toleriert, weil beide Mum liebten und weil Mum sie beide liebte. Die Liebe, die Bindung zwischen Mutter und Tochter, war stärker und wichtiger als irgendwelche politischen Überzeugungen, so widerlich sie auch sein mochten.«
Niemand sagt etwas, bis Allie hinzufügt: »Ich frage mich, was Mum und Alma damals zueinander gesagt haben – denn sie müssen doch genau über dieses Problem gesprochen haben, glaubt ihr nicht? Solche unausgesprochenen Beweggründe und Gedanken bringen mich zum Grübeln.«
»Und was meinst du, was sie zueinander gesagt haben?« Auch ich würde es gerne wissen.
»Ich habe Nana einmal danach gefragt, und sie hat geantwortet, dass sie alle stolz waren, Deutsche zu sein, aber dass es durch die Weltkriege und den Holocaust einfach problematisch wurde.«
»Aber wie kommst du denn mit diesen Widersprüchen zurecht?«, hakt Tara nach.
Mir ist klar, dass ihre Frage nicht nur von ihrem Interesse an Allie motiviert ist. Und was für eine Lehre sie aus Allies Geschichte zieht. Tara hat die Sicherheit und Geborgenheit der weißen Mehrheit hinter sich gelassen und dafür die Schwierigkeiten eingetauscht, die mit der Zugehörigkeit zu einer Minderheit einhergehen – auch wenn es sicher heute weniger hart ist als noch vor zwanzig Jahren. Und weil sie sich dafür entschieden hat, haben auch Mom und ich eine ganz neue Verbindung zu schwarzen Menschen bekommen.
»Als Kind habe ich oft darüber nachgedacht, dass deutsche Verwandte von mir womöglich jüdisch-russische Verwandte von mir umgebracht haben, ohne dass einer von ihnen – weder der Mörder noch der Ermordete – wusste, dass sie miteinander verwandt waren. Eine entsetzliche Vorstellung, dass man blindlings seine eigene Familie umbringt.«
Allie beißt sich auf die Lippen. »Aber ist es nicht genau das, was in einem Krieg ständig passiert? Sind wir nicht im Grund alle miteinander verwandt?«
Tara schweigt. Vielleicht geht ihr ihre eigene und Levys Zukunft durch den Kopf. »Levy und Rachel sind beide tolle Mischungen – ein Ergebnis des Lebens unserer Großeltern. Daran denke ich oft. Und an den Zufall, dass es mich gibt, und zwar viel länger als die Beziehung meiner Eltern. Und dann der Zufall, dass ich Aaron kennengelernt habe.«
»Ja«, stimmt Allie ihr zu. »Und Rachel und Levy mögen sich jetzt schon und haben diese Verbindung. Sie freuen sich aneinander und teilen ihre jeweilige Welt.«
Auch wenn die Zukunft viele Möglichkeiten birgt, sie auseinanderzureißen, denke ich im Stillen. »Aber bei uns ist es auch nicht so, dass politische Überzeugungen uns trennen. Wir leben nicht im Krieg«, sage ich laut.
»Stimmt. Trotzdem findest du unsere Lebensweise nicht gut und hast klischeehafte Vorstellungen von dem, was bei uns abgeht. Zum Beispiel die Sache mit den Drogen.« Tara sieht mir fest in die Augen, aber in ihrem Ton kann ich keine Spur von Aggressivität erkennen.
»Smoke hat auch schon was zu diesem Thema gesagt, aber ich habe Marihuana in deinem Zimmer gerochen.«
»Sicher, Gras wird schon geraucht, aber harte Drogen rührt keiner von uns an. Und ich meine mich zu erinnern, dass du mit Marissa auch gelegentlich einen Joint geraucht hast, wenn sie bei dir übernachtet hat. Aber egal – keiner aus der
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