Anna, die Schule und der liebe Gott
lernen wollen. Im Zentrum steht damit nicht die extrinsische Belohnung, sondern die Stärkung der Eigenmotivation durch die Schule. Nur in diesem Fall führen die vielen Mühen tatsächlich auch zu einem Bildungsziel, nämlich dass von dem Gelernten viel gespeichert und erinnert wird. Da das Wollen nicht einsam entschieden wird, sondern immer im Verbund mit den Interessen, Vorlieben und der Begeisterung der Mitschüler, ist es wichtig, ein soziales Klima zu begünstigen, in dem viele gern und voneinander lernen. Dabei sollten die eigenen Ideen der Kinder ihren festen Platz im Unterricht haben. Die Kinder sollten zeigen können, was sie auch abseits des von der Schule angebotenen Stoffes draufhaben und worauf sie stolz sind. Verknüpft man das Vorwissen und die Interessen der Kinder individuell mit dem Lernstoff, geht vieles einfacher. Denn nur durch Verknüpfungen wird es möglich, tatsächlich zu verstehen. Verstehen heißt nicht kennen, sondern einsortieren. Und wer etwas in den eigenen Wissens- und Erfahrungsschatz einsortieren kann, merkt sich mithin leichter Details. Für diese Arbeit des Einsortierens muss das Gelernte überdacht, bewertet und abgewogen werden, und dafür braucht man Zeit und Muße und oft körperliche Bewegung.
All diese wissenschaftlich abgesicherten Überlegungen zum Lernen basieren auf der Vorstellung, dass Lernen etwas Individuelles ist. Kein Kind lernt ganz genau gleich wie ein anderes. Und jedes kommt irgendwann mal in Schwierigkeiten. Was unsere lernenden Gehirne machen, entspricht auch mitnichten dem kontinuierlichen Prozess eines lehrplanmäßigen Bildungsgangs. Häufig werden Umwege eingeschlagen und Abkürzungen gesucht. Lernen ist nicht die kürzeste und effektivste Verbindung von A nach B, sondern, wenn es wirklich nachhaltig sein soll, ein Spaziergang oder besser: eine Ansammlung von Spaziergängen durch bekanntes und unbekanntes Terrain. Aus diesem Grund kann man zwar » Lehrpläne standardisieren, aber man kann Lernen nicht standardisieren « . 105 Und wer als Lehrer die Mitverantwortung für das Lernen eines Menschen übernimmt, muss vor allem eines tun: Die Einzigartigkeit eines jeden Lernenden akzeptieren und diese individuell fördern.
Vielleicht werden Sie jetzt fragen, ob das in der Schule überhaupt geht. Und die Antwort ist: » Ja, es geht …! «
102 Korte (2011), S. 53
103 Roth (2011), S. 82
104 Lepper/Greene/Nisbett (1973)
105 Khan (2012), S. 52
Individualisiertes Lernen
Unterricht sollte so sein, dass das Gebotene
als wertvolle Gabe empfunden wird
und nicht als eine harte Pflicht.
Albert Einstein
Lernen im Gleichschritt
» Ich mochte die Schule. In Deutsch kam ich allerdings kaum mit. Meine Aufsätze waren grottenschlecht, ich machte Fehler in Diktaten. Ich hatte das mit den Nomen und Verben im Deutschen noch nicht ganz umrissen, als wir schon bei den Fällen waren. In Mathematik fühlte ich mich deutlich wohler. Im dritten Schuljahr arbeitete ich im Herbst schon das Mathebuch bis zum Ende des Jahres vor. Die Lehrerin bestellte damals meine Mutter zu sich und schimpfte, dass das so nicht gehe. Ich könne ja gar nicht mit anderen Kindern verglichen werden, wenn ich schon vorarbeite. Ich hingegen verstand nicht, was daran schlecht sein sollte, wenn ich irgendwas schnell lerne. Ich verstand nicht, was der Wert der Vergleichbarkeit aller Kinder war. Ehrlich gesagt, ich verstehe es bis heute nicht. Wir haben es mit völlig individuellen Kindern zu tun, von denen so ziemlich jedes seine eigenen Stärken und Schwächen hat. Wir zwingen in den einzelnen Fächern aber die Langsameren dazu, sich den Schnelleren anzupassen und umgekehrt. Das Lerntempo ist letztlich nur für wenige richtig, und wir kämpfen mit schlechten Lernerfolgen auf beiden Seiten. Man könnte jetzt argumentieren, dass wir uns individuellere Förderung nicht leisten können. Aber, mit Verlaub, das ist gigantischer Schwachfug. Wenn wir uns überlegen, welcher Teil des wirtschaftlichen Erfolgs eines Landes von guter, früher Bildung seiner Bevölkerung abhängt, dann müssen wir uns sehr ernsthaft über eine Reform des Bildungssystems unterhalten. « 106
Die Klage von Marina Weisband, der ehemaligen Geschäftsführerin der Piratenpartei, trifft ins Schwarze. Sosehr in der Pädagogik schon seit langer Zeit von » individualisiertem Lernen « die Rede ist – vernünftig umgesetzt wurde und wird es kaum. Aus diesem Grund sind die vielen schönen Worte darüber, dass Bildung aus der Perspektive
Weitere Kostenlose Bücher