Anna, die Schule und der liebe Gott
Bildungsniveau!
Doch wie erreicht man das? Gibt es hier ein Modell oder doch wenigstens empirisch gut abgesicherte Erkenntnisse, welche Konzepte und Methoden funktionieren und welche nicht? Existieren Fakten statt Meinungen und ideologisch gefärbter Weltanschauungen?
Die ehrliche Antwort ist: nicht wirklich! Jedenfalls nicht, wenn man den Wert empirischer Forschungen auf diesem Gebiet realistisch einzuschätzen gelernt hat. Wer hingegen die messbare Seite der Welt für die Welt hält und somit die messbare Bildung für Bildung, der folgt dem neuseeländischen Bildungsforscher John Hattie von der University of Melbourne. Sein Mess-Projekt ist das mit Abstand größte, das je zur Frage nach einem guten Unterricht gemacht wurde. 128 Mehr als 50 000 Einzeluntersuchungen in aller Welt hat Hattie ausgewertet, dazu achthundert Meta-Analysen. Über fünfzehn Jahre lang wurde analysiert, was Forscher an insgesamt 250 Millionen Schülern herausgefunden haben wollen.
Das Ergebnis ist das sogenannte » Hattie-Ranking « von den schädlichen pädagogischen Konzepten und Faktoren hin zu den nützlichen. Nach Hattie verläuft diese Line wie folgt: Schädlich sind Sitzenbleiben, übermäßiges Fernsehen und lange Sommerferien. Was nicht schadet, aber auch nicht hilft, sind offener Unterricht, jahrgangsübergreifender Unterricht und webbasiertes Lehren und Lernen. Was nur gering hilft, sind kleine Klassen, eine bessere finanzielle Ausstattung, entdeckendes Lernen und Hausaufgaben. Was dagegen hilft, sind regelmäßige Leistungsüberprüfungen, vorschulische Fördermaßnahmen, lehrergeleiteter Unterricht und Zusatzangebote für starke Schüler. Und was richtig hilft, ist ein starkes Lehrerfeedback, problemlösender Unterricht, eine fachspezifische Lehrerfortbildung, Programme zur Leseförderung und ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrkraft und Schüler.
Vieles von dem, was Hattie herausgefunden zu haben glaubt, klingt plausibel. Dass Sitzenbleiben keine nachhaltig gute Idee der Pädagogik ist, wird nicht überraschen. Und dass problemlösender Unterricht die intrinsische Motivation stärker einheizt als reines » Fächer « -Lernen, ist auch klar. Doch leider verblasst der Anschein des Wissenschaftlichen, des Überprüften und exakt Gewogenen sehr schnell, wenn man japanische Studien mit Befragungen in Dänemark und Detailstudien aus den USA in einen Topf wirft. Denn die verschiedenen Schulformen, Kulturen, soziale Rahmenbedingungen, Mentalitäten lassen sich nicht miteinander verkochen, ohne dass es stinkt. Ein Schüler in Taiwan meint etwas anderes, wenn er nach » entdeckendem Lernen « gefragt wird, als ein deutscher Waldorfschüler. Und der » lehrergeleitete Unterricht « hat überall in der Welt ein anderes Gesicht; er war ja selbst in Deutschland vor dreißig Jahren nicht ganz das Gleiche wie heute. Und das meiste Relevante, das über den Bildungserfolg eines Menschen entscheidet, entzieht sich, wie gezeigt, ohnehin der Messbarkeit. Ob der Unterricht nachhaltig war, also ob man zehn Jahre später noch viele Zusammenhänge im Kopf hat, bleibt ebenso außen vor wie die gesamte avisierte Bildung zur Persönlichkeit.
» Wann immer auf Mikro-Ebene gewonnene Erkenntnisse auf eine Makro-Ebene gebracht werden « , meinte Siegfried Kracauer, » treten die Einzelheiten beschädigt darunter hervor. « Erschwerend kommt hinzu, dass Hattie seine 50 000 Studien auch in fünfzehn Jahren nicht hat alle selbst lesen können. Stattdessen musste er deren Sichtung und Auswertung dem Computer überlassen. Eine solch emotionslose Auswertung von nuancierten Seelenregungen einzelner Schüler erinnert stark an den alten Statistik-Witz: Wenn einer einen Apfel zu viel und der andere einen zu wenig hat, besagt die statistische Mitte, dass beide keinen haben.
Die Empirie erlöst die Schulpädagogen und Schulplaner nicht aus der Welt der Meinungen! Natürlich muss Hatties Bewertung des webbasierten Lernens so schwach ausfallen, wenn man bedenkt, wie E-Learning noch vor zehn Jahren aussah. Und gewiss ist jahrgangsübergreifender Unterricht auch nicht per se sinnvoll, sondern vor allem bei stark individualisiertem und projektbezogenem Arbeiten. Das Entscheidende, das Hattie nicht hat messen können, wenn er 138 Einflussfaktoren isoliert, die zum Lernerfolg beitragen, ist: In einem guten Schulkonzept und in einem guten Unterricht müssen die verschiedenen Zahnräder gut aufeinander eingestellt ineinandergreifen! Isolierte Einflussfaktoren
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